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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Fürstin kämpfte. Das Kind, in der Nacht geboren, war schon tot, nun wollte die Fürstinsterben, der Doctor schrie sie an und verbot ihr, daran auch nur zu denken. Nie hatte sie ihn so gesehen, beide Ärmel des weißen Hemdes blutdurchtränkt, dirigierte er vier Frauen, die sprangen, wenn er bellte, und schliefen, wenn er es erlaubte.
    Die Fürstin war gestorben, am achten Tag. Tänzer war umgefallen und hatte sechzig Stunden am Stück geschlafen. Als der Fürst ihm danken wollte, hatte Tänzer ihn beleidigt und verhöhnt. Anders war es ihm nicht möglich gewesen, den eigenen Schmerz zu bändigen. Der Fürst hatte verstanden, der Kontakt war nie mehr abgerissen. Die Kinder der jungen Fürstin hatten Tänzer und die Hebamme gemeinsam geholt. Bei beiden Feuerwerken zu Ehren der neuen Erdenbürger hatten kleine Waldstücke Feuer gefangen und waren niedergebrannt. Beim zweiten Mal hatte sich der Jagdaufseher sehr aufgeregt. Vor dem Fürsten stehend, hatte er gezetert und gedroht, bis der Fürst ihm mit flachen Händen auf beide Ohren geschlagen hatte. Tänzer hatte ihn versorgt, und ein Fass mit Rum von der Küste hatte den Streit bei- und den Jagdaufseher flachgelegt.
    Die Gestalt im Bett schlief sich auf den Tod zu, das Sterben war nicht mehr aufzuhalten. Jeden Tag schaute Doctor Boff herein, zusätzlich zu den Doctores, die offiziell damit befasst waren. Niemand verschrieb mehr ein Mittel, niemand tat so, als würde sich alles zum Guten wenden. »Wir müssen stark bleiben.« Sie bereiteten einen vor auf das, was man selbst wusste. Jeder war sterblich, einen traf es früher, einen später. Mancher starb, weil es an der Zeit war, mancher aus Zufall. Der Mann, der zugeschlagen und getreten hatte, machte Tänzer für den Tod seiner Frau verantwortlich. Nun saß er im Kerker, und Doctor Boff war zu ihm gegangen und hatte ihm den Fall geschildert. Der Mann im Kerker bedauerte noch nicht, aber von der schäumenden Selbstgerechtigkeit der ersten Stunde war nichts mehr übriggeblieben. Selbstverständlich würde er für die Tat mit seinem Leben bezahlen. Das war gerecht, aber gleichgültig war es auch. Strafen waren nur dafür gut, um das verletzte Gleichgewichtwieder herzustellen. Einer stirbt, ein anderer stirbt, alles befindet sich wieder im Lot. Aber vorher waren zwei lebendig, und jetzt sind zwei tot. Und einer von ihnen hätte noch nicht sterben müssen. Der Mensch war ein wütendes Tier. Jeden Tag schlugen Betrunkene einen Mitzecher tot, überfielen Räuber zwischen zwei Dörfern Reisende, brachen umherziehende Soldaten in ein Haus ein, und wer zufällig vor ihnen stand, war ein toter Mensch. Nichts hatte Sinn, nichts war rückgängig zu machen. Man konnte den ersten Toten nur weitere Tote hinzufügen. Etwas stimmte nicht an dieser Logik. Wenn die Frau zuerst starb, blieben dem Mann seine Erinnerungen und sein Beruf. Wenn der Mann zuerst starb, blieben der Frau Probleme, wenn sie nicht das Glück hatte, Bäuerin zu sein oder Marktfrau. Wenn ihr Mann ein Bürger war, war die Frau ohne Arbeit. Dann blieben ihr, was der Mann hinterließ und die Aussicht auf ein Leben als Witwe. Ohne Aufgabe und Ziel. Witwen waren unsichtbar, niemand suchte ihre Nähe, denn es gab nichts an ihnen, was anziehend war.
    Sie legte eine Hand auf seine Stirn und umfasste seine Hände. Es floss noch Blut durch diesen Körper. Aber es war nicht mehr stark genug, um ihn zu erwärmen. Katarina holte die Papiere und die Feder, sie setzte sich an den zierlichen Tisch, an dem lange nichts mehr geschrieben worden war. Jetzt war nicht die Zeit, um zu nähen und zu sticken und zu stopfen. Jetzt war die Zeit, um einen Plan zu machen. Als sie Tänzer kennen gelernt hatte, war sie dumm gewesen. Nach einem Leben an seiner Seite war sie klüger geworden. Auf das erste Papier schrieb sie, was sie über die Medizin wusste. Auf das zweite Papier schrieb sie, was sie über die Stadt wusste, über Halle und seine Menschen, mit denen Tänzer Kontakt gehabt hatte. Freunde, Kollegen, Politiker, Beamte, Bekannte, Nachbarn. Sie brauchte weiteres Papier, um alles zu bewältigen. Am Ende saß sie vor einem Schatz.

10
    Die Praxis summte von früh bis spät. Wenn Stine um sieben die Tür öffnete, standen zwei Dutzend Patientinnen im Flur und auf den Treppenstufen. Still und rücksichtsvoll warteten sie, bis sie vorgelassen wurden. Boff war dann schon in der Praxis. In den ersten Tagen hatte er für möglich gehalten, dass jemand vor seiner Wohnung auftauchen würde. Aber

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