Doctor Boff - Weiberkranckheiten
schlief. Nicht einmal schlummerte.
»Ich glaube, sie ist von Eurer Mutter. Vielleicht von Eurer Mentorin. Einmal habt Ihr mit der Tasche nach jemandem geschlagen, auf der Brücke. Er hat wohl nicht schnell genug Platz gemacht. Vor Schreck ist er beinahe übers Geländer gesprungen. – Und im Winter tragt Ihr die Mütze, vom ersten Frost bis zum nächsten Frühling. Egal ob es friert oder nicht. Ihr habt feste Grundsätze, von denen lasst Ihr nicht ab. Euer Mann hat es bestimmt nicht leicht mit Euch. Vorausgesetzt, Ihr habt einen Mann. Habt Ihr einen Mann?«
»Ihr habt Glück, dass ich meine Tasche nicht dabei habe.«
»Weil ich sonst einen Hieb abkriegen würde, stimmt’s?«
»Nicht nur einen. Solange, bis Ihr endlich Ruhe gebt. Seid Ihr zu viel allein oder warum redet Ihr pausenlos?«
»Ich würde gern mit Euch ins Gespräch kommen.«
»Ihr fangt das falsch an.«
»Wieso denn? Frauen reden doch auch pausenlos.«
»Seht Ihr, das ist der nächste Fehler.«
»Aber Frauen reden mehr als wir. Das steht fest.«
»Habt Ihr die Wörter gezählt?«
»Ich habe das im Gefühl.«
»Ach, Gefühle. Die können täuschen.«
»Jeder sehnt sich danach, Gefühlen vertrauen zu dürfen.«
»Mädchen vielleicht, wenn sie zehn sind. Mit jedem Jahr werden sie klüger. Wer Gefühlen vertraut, ist schnell verheiratet. Und was ist dann?«
»Ja? Was ist dann? Verratet es mir.«
»Dann beginnt das Altwerden.«
»Reden wir von Liebe?«
»Weiß nicht. Reden wir von Liebe?«
»Ich verliebe mich gern. Jedes Mal wieder. Es hält nur nie lange.«
»Weil Ihr nie zu Hause seid. Ihr seid ein rasender Bote. Das mag keine Frau.«
»Ich bin gern unterwegs. Ich denke dann immer, der Brief, den ich in der Tasche habe, ist der wichtigste Brief der Welt. Wenn ich den Brief zu spät abliefere, geht heute die Sonne zu spät unter. Oder der Mond zu früh auf, und alles kommt durcheinander. Ich gebe mein Geld für schnelle Pferde aus.«
»Und Ihr wundert Euch, dass Euch die Frauen weglaufen.«
»So habe ich es nicht gesagt.«
»Entweder liebt Ihr Eure Frau oder Euren Beruf.«
»Frauen brauchen keinen Beruf.«
»Wenn Ihr die nächste Frau kennen lernt, schickt sie vorher zu mir. Das kürzt die Sache ab.«
Einige Minuten blieb es still, der Kranke bewegte sich, war gleich wieder ruhig.
»Den Doctor mögt Ihr«, sagte Lewerkühn dann.
»Weil er mir leidtut. So ein Schicksal hat niemand verdient.«
»Nicht der Doctor, das wisst Ihr genau. – Und jetzt antwortet Ihr nicht, weil es Euch unangenehm ist.«
»Deshalb braucht Ihr keine Frau. Ihr redet einfach für sie mit. Ihr müsst nur noch herauskriegen, wie ein Mann Kinder kriegt, dann seid Ihr unabhängig. Und einsam.«
Draußen war etwas, ein Kratzen. Er stellte sich ans Fenster. Die Nacht war voller Tiere.
Einmal wurde er wach, Hermine war nicht im Raum. Später war sie wieder da. Als er seine Runde durch die unteren Räume machte, spürte er, dass Hermine vor ihm hier gewesen war. Das war gegen die Abmachung. Er wollte sie beschützen und hoffte, dass der Mörder heute Nacht kommen würde. Als er später hinter ihr stand, sah er im Sessel nur ihren Scheitel. Er wagte sich nicht weiter vor. Aber ihm gefiel auch schon der Scheitel.
25
Mittags war er mit Galgen-Dosse verabredet. Im Gasthaus »Knick« war für den Mann ein kleiner Tisch reserviert, an dem er seine Mahlzeit einnahm.
»Setzt Euch schon«, knurrte er kauend und wies auf den freien Stuhl. »Es wäre mir allerdings lieb, wenn Ihr nichts esst. Das bringt mich aus dem Rhythmus.«
Sascha Dosse war im Magistrat für die Policey zuständig. Ihm unterstanden die Büttel und Wächter. Seitdem auf seinen Vorschlag zwei Dutzend Militärinvaliden als sogenannte Policeydiener beschäftigt wurden, hatte sich sein kleines Heer zahlenmäßig verdoppelt. Dosse galt nicht als hart und unbeugsam, wenn er es auch liebte, die Meinung, mit der er in eine Besprechung gegangen war, am Ende der Besprechung mit aus dem Raum zu nehmen. Seinen Spottnamen verdankte er einer Episode aus jungen Jahren, als der übereifrige Ratsherr Dosse den Vorschlag eingebracht hatte, die Galgen der Stadt mit geschnitzten Szenen aus der Stadtgeschichte zu versehen. Unter gutmütigem Spott hatte man ihm die unangebrachte Verknüpfung von Kunst und Tod ausgeredet, aber den Galgen-Dosse wurde er nie mehr los. Zeugen nahmen es auf ihren Eid, dass er sich bei offiziellen Gelegenheiten mit diesem Namen vorgestellt hatte.
»Was wollt Ihr von mir? Mir fehlt
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