Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Werk zu vollenden. Aber er hat langen Atem bewiesen. Er sitzt im Zuchthaus, ich freue mich auf den Tag, an dem das Urteil vollstreckt werden wird. Die Art des Urteils kann nicht zweifelhaft sein. Wenn du einen Heiler kennst, kennst du alle, egal wie sie sich nennen und an welchen Teilen des Körpers sie ihre Inkompetenz austoben. Lange, viel zu lange, haben wir diese Menschen gewähren lassen. Niemand weiß, wie viel Unheil sie angerichtet haben. Was bei einem normalen Menschen ›Mord‹ heißt, hat bei den Heilern ja andere Namen. Sie nennen es ›Behandlung‹ oder ›kurieren‹. Es ist ein Gemetzel, sie können nichts und werden nie etwas können. Jetzt hat einer von ihnen die Maske fallen lassen, jetzt haben wir die Chance, es ihnen heimzuzahlen. Die Vorbereitungen laufen auf vollenTouren und in großer Ernsthaftigkeit. Und dann ereignet sich die Katastrophe: Der Kollege, den wir an die Spitze unseres Berufsstandes in Halle gewählt haben und dem ein guter Ruf vorausging, dieser Mann verbündet sich mit unseren Feinden. Er verbündet sich mit den Mördern des alten Stadtphysicus. Er macht mit ihnen gemeinsame Sache. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll und höre deshalb lieber auf.«
Erst applaudierten nur vereinzelte Hände. Ihre Zahl nahm zu, am Ende klatschte die Hälfte der Anwesenden. Um danach mit gieriger Erwartung den Stadtphysicus anzublicken. Bis auf einen Vielfraß dachte niemand mehr an Essen.
»Zeig es ihnen, mein Junge!«, rief die alte Gräfin aufmunternd.
»Ich verstehe Eure Besorgnis«, entgegnete Boff. »Ihr fühlt Euch für die Kranken verantwortlich und lehnt jeden ab, der für ihr Wohl nicht förderlich erscheint. Das verstehe ich. Ich verstehe aber auch einige andere Dinge. Ich werde sie jetzt aussprechen und bitte darum, das, was ich sage, erst zu bedenken, bevor man es ablehnt.«
»Fangt an!«, rief eine weibliche Stimme.
»Die Heiler gab es schon, bevor es Ärzte gab. Die Heiler sind der Berufsstand mit einer ellenlangen Geschichte. Und warum sind sie das? Weil Menschen krank werden, solange es Menschen gibt. Und sie suchten Linderung bei denjenigen, die als einzige dazu in der Lage waren, ihnen Linderung zu verschaffen. Das sind die Heiler. Ich will nicht um hundert oder zweihundert Jahre streiten, Ihr wisst, was ich meine.«
»Aber sie sind Verbrecher!«, ertönte es.
»Ich möchte darum bitten, die Heiler nicht über einen Kamm zu scheren. Wie in jedem anderen Stand gibt es auch bei ihnen Fähige und weniger Fähige.«
»An welchen Berufsstand denkt Ihr jetzt ganz besonders?«, fragte Sattler misstrauisch und kraulte seinen Bart.
»An unseren.«
»Wollt Ihr damit sagen … nein, das ist unmöglich … das würde ja bedeuten …«
»Kommt schon, Sattler, stellt Euch nicht dümmer als Ihr seid. Ich habe Ärzte erlebt, akademische Ärzte, die hatten Probleme, bei einem Patienten herauszufinden, wo oben und wo unten ist. Ich habe in Würzburg einen Chirurgen erlebt, der einem Kind ein Eisen durchs Ohr ins Gehirn getrieben hat. Und was ich beim Aderlass gesehen habe, werde ich nur deshalb nicht vertiefen, weil ich Respekt vor unserem Gastgeber und seiner Tafel habe. Es gibt gute Ärzte und schlechte. Wer etwas anderes behauptet, hat sein Recht verwirkt, ernstgenommen zu werden. Darum geht es mir auch gar nicht.«
Boff nahm einen Schluck vom Wein und beobachtete über den Rand des Glases seine Zuhörer. Er hatte sie, jeden einzelnen. Es war eben doch eine gute Taktik, nicht ohne Punkt und Komma zu reden.
»Viele Hundert Jahre waren die Heiler für die Versorgung der Kranken zuständig. Weil es keine akademische Ausbildung gab. Weil die Medizin noch nicht so viel vom Menschen wusste, um klüger zu sein als die Heiler. Jetzt haben wir Universitäten, haben unfassbar kluge Ärzte und Wissenschaftler. Jeden Tag wird der Wissensschatz größer. Das ist begeisternd, ich knie nieder vor diesen Könnern und bin stolz, dass ich mich zu ihrem Berufsstand zählen darf. Aber: Die Grundlage von allem ist das Wissen der Heiler. Das ist heute wahr, war gestern wahr und wird in tausend Jahren wahr sein. Wir bilden erstklassige Mediziner aus, aber wir müssen das Wissen der Heiler in die neue Zeit mit hinübernehmen. Versteht mich richtig. Ich verteidige nicht die Metzger unter den Zahnreißern und nicht die Idioten unter den Barbieren. Manche von ihnen sind im Kerker besser aufgehoben als auf dem Marktplatz. Ja und ja und ja: Das ist alles richtig, aber wir dürfen das alte Wissen
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