Doctor Boff - Weiberkranckheiten
Patienten mischten sich ein, Stühle, Flaschen, Instrumente gingen zu Bruch. Was aus Glas war, zerbrach, Flüssigkeiten krochen überden Boden, Rauch stieg auf, Augen brannten, Helfer führten ihre Patienten von den Flüssigkeiten fort, denn es gab Grund zu der Annahme, dass gleich alles in die Luft fliegen könnte.
So schlimm wurde es nicht, aber für einen Artikel in der Zeitung reichte es, und wieder verlor ein Heiler seine Arbeit, wieder standen hundert Patienten ohne ärztliche Versorgung da und verteilten sich auf die bestehenden Mediziner.
Vor die Notwendigkeit gestellt, den Kranken Hoffnung zu geben, wählten die Verantwortlichen einen Weg, auf den niemand gefasst war: Sonderdrucke der Zeitung. Fliegende Blätter und Ausrufer informierten die Bevölkerung, dass ab kommenden Montag allen Heilern verboten sein würde, ihren Beruf in den Mauern der Stadt auszuüben oder ihre Dienste anzubieten. Ärzte der Universität und aus benachbarten Orten würden die medizinische Versorgung übernehmen, bis eine Lösung gefunden sein würde. Man bedaure die Unannehmlichkeiten für die Kranken, könne aber nicht anders handeln, denn in vielen Arztpraxen würden Zustände herrschen, die nicht hingenommen werden dürften, ohne Leib und Leben der Menschen aufs Spiel zu setzen.
Der Stadtphysicus wurde aufs Rathaus gebeten, wo man ihn in Kenntnis setzte. Dreißig Minuten später wurde der Beschluss öffentlich. Boff nahm selbstverständlich an, dass damit auch die Ärzte in seinem Haus nicht mehr praktizieren dürften, und hörte verdutzt, dass sie von der Regelung ausgenommen seien. Er fragte nach und erhielt ausweichende Antwort. Er bestand darauf, dass auch sein Haus vom Beschluss betroffen sei, und sagte, als man dies partout nicht zusagen wollte: »Dann ordne ich hiermit aus eigener Macht an: Alle Praxen außer meiner und der der Hebamme sind ab sofort geschlossen.«
In scheinheiligem Tonfall wollte man ihm das ausreden, nannte seine Rede »vorschnell« und »übereifrig«. Sie reizten Boff so sehr, bis er seine Gedanken nicht länger für sichbehielt: »Stellen wir uns nicht dumm. Die Sache liegt doch klar zutage. Wenn alle Ärzte verboten sind bis auf meine, wird es zu Wutausbrüchen und Zusammenrottungen kommen. Sie werden das Haus stürmen und die Einrichtungen zerschlagen, denn weil sie das Rathaus nicht treffen können, werden sie die Praxen treffen. Für jeden Menschen stellt es sich so dar, dass die Praxen in meinem Haus unter dem Schutz der Stadt stehen. Das reicht aus, um sie dem Erdboden gleichzumachen. Ich weiß das, Ihr wisst das, aber Ihr tut so, als würdet Ihr es nicht wissen. Ihr glaubt, Euch diese Heuchelei leisten zu können. Nie in der Geschichte wurde einer kompletten Stadt die Fürsorge der Medizin entzogen. Es gibt also keine Erfahrungen, wie die Menschen darauf reagieren. Ich habe allerdings eine Ahnung. Ich biete an, sie aufzuschreiben und in einem versiegelten Umschlag aufzubewahren. Vor allem plädiere ich energisch dafür, dass Ihr den Beschluss zurücknehmt. Das wäre kein Zeichen von Schwäche, sondern von Weisheit und Liebe zu den Menschen. Wenn das erste Kind stirbt, nur weil seine Eltern nicht rechtzeitig Hilfe finden, sprechen wir uns wieder. Ihr solltet zu den Soldaten, die wir bei uns haben, noch einige Hundert zusätzlich anfordern. Denn unsere freundlichen Büttel und Wächter wird die Masse in einer Minute plattgetreten haben. Ich gehe jetzt nach Hause und lege alles schriftlich dar, was später herangezogen werden wird, um die Schuldigen zu ermitteln. Halle erklärt seinen Bewohnern den Krieg. Man kann nicht nur durch Taten töten. Auch durch Unterlassen und Nichtstun.«
Cassian sagte: »Euren vielen Worten entnehme ich, dass Ihr von Eurem Amt zurücktreten werdet. Wir sind bereit, den Rücktritt anzunehmen.«
Boff lächelte ihn an und sagte: »Träumt weiter, Cassian. Mich müsst Ihr töten, um mich loszuwerden. Wenn ich draußen versehentlich vor eine Kutsche laufe, wünsche ich Euch gute Nacht. Die Menschen wissen, wer wo wohnt. Bringt EureFamilien auf dem Land in Sicherheit. Ich verlasse jetzt das Rathaus und werde mich nach allen Seiten umsehen, bevor ich den Platz überquere.«
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Der Sonntag war der Tag der Glocken. Sie riefen die Gläubigen, die in Scharen herbeiströmten. Bis auf einen sprachen alle Pastoren über die medizinische Versorgung in Halle. Der eine dachte laut über einen Psalm nach, während man sich in den Bänken über die medizinische Versorgung in
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