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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Heilers, der vor zehn Stunden abgesperrt hatte; eine verzweifelte Mutter mit ihrem fiebernden Säugling, die von einem Büttel zurückgewiesen wurde, der vor der Praxis eines Heilers Posten bezogen hatte; der bärenstarke Handwerker, der seine Frau verlor, weil ein Bürokrat es so gewollt hatte. Sie spürten schon die Hiebe, die sie in Magen, Geschlechtsteile und Gesicht treffen würden. Die einfachen Menschen wussten, wohin man schlagen musste, um Schmerz zuzufügen. Und wohin sollte man sich wenden, wenn man Dresche bezogen hatte?
    An diesem Abend verließen die ersten Familien die Stadt, mit verborgenen Gesichtern und leichtem Gepäck, denn man wollte nicht riskieren, einer Wache der einfachen Menschen in die Hände zu laufen, die einen zwingen würde, die Kisten und Koffer zu öffnen, in denen sich Wäsche und Bestecke befanden, die in Sekundenfrist den Besitzer wechseln konnten.
    Verzweifelte Rechnungen wurden aufgestellt. 20.000 Hallesche Bürger, von denen 17.000 einfache Menschen waren. 5.000 von ihnen stellten keine Gefahr dar, weil sie zu jung, zu alt, zu klapprig oder zu feige waren. Man rechnete weitere Gruppen von der beängstigend großen Zahl herunter: Schwangere, Verreiste, Friedensbereite, Fromme, Idioten, Gehorsame und die zwanzig, die an die Weisheit des Rathauses glaubten. Aber selbst wenn man zum Äußersten griff und Vampire, Werwölfe, Wiedergeborene, Spukgestalten und Waldmenschen abzog, am Ende blieb eine Zahl von 8.000 bis 10.000 einfachen Menschen, die morgen sehr zornig werden könnten. Und weil diese Menschen arm waren und nichts zu verlieren hatten, könnten sie auf den Gedanken kommen, denen, die reich waren und viel zu verlieren hatten, einen Besuch abzustatten. Man konnte die Türen abschließen und die Fenster verrammeln, aber jede Tür und jedes Fenster würde unter dem Ansturm einer zornigen Menge kaputtgehen. Und dann würde in Halle die große Wanderung beginnen: Möbel, Teppiche, Stoffe, Schmuckstücke würden von einer Wohnung in eine andere Wohnung wandern. Über den Markt würden Hunderte bepackte Menschen ziehen und dort Hunderten anderen bepackten Menschen begegnen, die auch auf der Wanderung waren. Man würde seine neuen Besitztümer begutachten, tauschen, verkaufen. Einiges würde man zerstören, weil man Lust darauf hatte. Dann würde man umkehren und aus den beraubten Wohnungen das herausholen, was sich noch darin befand.
    Nein, morgen stand mehr auf dem Spiel als eine zeitweilige Unterbrechung der ärztlichen Versorgung. Morgen stand das Leben von Tausenden Menschen auf dem Spiel, die etwas zu verlieren hatten.

45
    Der »Mohr« am Rathausplatz besaß einen Nebeneingang, er lag in einer kleinen Gasse. Niemand, dem sein Leben etwas wert war, würde diese Gasse bei Dunkelheit betreten. Die Personen, die es in dieser Nacht taten, hatten einen guten Grund dafür. Sie waren auch nicht allein, denn der Bote Lewerkühn zeigte ihnen den Weg. Am Ende waren es acht Personen, sieben und der Wirt. Man saß so, dass man durch die Fenster nicht zu erkennen war. Die Vorhänge waren offen geblieben, denn zugezogene Vorhänge weckten beim behäbigsten Zeitgenossen die Neugier.
    Ein Heiler; zwei akademische Ärzte; ein Professor der Universität; Janet von Priehn, die Frau des Möbelimporteurs; ein Mann ohne Namen und ohne Uniform, der keinen Zweifel daran ließ, dass er aus dem Schoß des in Halle stationierten Militärs kam. Er sah heute Abend erstmals den Stadtphysicus und verhehlte nicht, dass der Mann ihm zusagte.
    Der Wirt stellte Getränke in großen Krügen bereit. Niemand vom Rathaus war Mitglied der Runde, aber jeder der Anwesenden hatte seine Fühler ins Rathaus ausgestreckt. Man trug die Beute zusammen, und es formte sich ein einheitliches Bild. Der Magistrat wurde von den eifernden Vertretern der Ärzteschaft vor sich hergetrieben. Sie hatten damit gedroht, Halle ausbluten zu lassen, indem man sich in anderen Städten ansiedelte und die Universität verkümmern ließ, so dass alle Zweige absterben würden. Das war die Angst des Rats: als ein Gremium dazustehen, das von der Gegenwart abgehängt wurde. Umgeben von Städten, in denen Aufbruch und Ehrgeiz herrschten, wollte man nicht als Ort erscheinen, der seine große Zeit hinter sich hatte.
    Nun hatte man sich ausgerechnet die Heiler ausgesucht, um ein Zeichen zu setzen. Angeblich, weil diese Menschen zuschwach seien, um Widerstand entgegenzusetzen. Außerdem seien sie von Scharlatanen durchsetzt und in einem solchen

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