Doctor Sleep (German Edition)
mausgrauer Pony hing ihr bis fast über die Augen in die Stirn. Wie immer schien sie kaum vorhanden zu sein, obwohl sie da war.
»Bin laulig, Lose.«
» Weiß schon. Ich bin auch traurig.«
Das stimmte zwar nicht – sie tobte vor Wut –, aber es klang gut.
»Lose, isch vamisse Andi.«
Andi, ja – Tölpelname Andrea Steiner, deren Vater ihr die Menschlichkeit aus dem Hirn gefickt hatte, lange bevor sie auf den Wahren Knoten gestoßen war. Rose erinnerte sich an den Tag, an dem sie Andi im Kino beobachtet hatte, und daran, wie Andi später mit schierem Mumm und ihrer Willenskraft die Umwandlung überstanden hatte. Snakebite Andi wäre bei der Stange geblieben. Sie wäre durchs Feuer gegangen, wenn Rose sie aufgefordert hätte, es für den Wahren Knoten zu tun.
Sie streckte die Arme aus. Sarey huschte auf sie zu und legte ihr den Kopf an die Brust.
»Ohne Andi will isch stelben.«
»Nein, Liebes, das glaube ich nicht.« Rose zog das kleine Ding zu sich ins Bett und umarmte es fest. Sarey war nichts als ein Knochengerüst, das von etwas Fleisch zusammengehalten wurde. »Sag mir, was du wirklich willst.«
Unter den zottigen Haarsträhnen glommen zwei wilde Augen auf. »Lache.«
Rose küsste sie erst auf die eine Wange, dann auf die andere, dann auf ihre schmalen, trockenen Lippen. Sie beugte sich zurück und sagte: »Ja. Und die wirst du bekommen. Mach den Mund auf, Sarey.«
Gehorsam tat Sarey es. Die Lippen der beiden schmiegten sich aneinander. Rose the Hat, immer noch voller Steam, blies Silent Sarey ihren Atem in die Kehle.
15
Die Wände von Concettas Arbeitszimmer waren mit Notizzetteln, Fragmenten von Gedichten und Briefen gepflastert, die nie beantwortet werden würden. Dan tippte die vier Buchstaben des Passworts ein, startete Firefox und googelte den Bluebell Campground. Der hatte eine Website, die nicht besonders informativ war, wahrscheinlich weil die Besitzer nicht besonders daran interessiert waren, Besucher anzulocken. Das Ganze diente offenkundig nur als Tarnung. Immerhin gab es mehrere Fotos des Geländes, die Dan mit einer Faszination studierte, als hätte er gerade ein altes Familienalbum entdeckt.
Vom Overlook war keine Spur mehr vorhanden, aber Dan erkannte die Landschaft. Einmal, kurz bevor sie vom ersten Schneesturm für den Rest des Winters von der Außenwelt abgeschnitten worden waren, hatte er mit seinen Eltern auf der breiten Veranda des Hotels gestanden (die ohne die Hollywoodschaukeln und Korbstühle noch breiter ausgesehen hatte) und über die lange, ebenmäßig abfallende Rasenfläche geblickt. An deren unterem Ende, wo oft Rehe und Gabelböcke aus dem Wald getreten waren, stand nun ein langes, rustikales Gebäude. Laut Bildunterschrift trug es den Namen Overlook Lodge. Hier konnte man essen, Bingo spielen und am Freitag- und Samstagabend zu Livemusik tanzen. Am Sonntag fanden Gottesdienste statt, abwechselnd geleitet von männlichen und weiblichen Predigern verschiedener Konfessionen, die aus Sidewinder kamen.
Bis der Schnee kam, hat mein Vater den Rasen gemäht und die Hecken, die damals da standen, in Form geschnitten. Er hat gesagt, als Student hätte er einer Dame immer den Kunstgarten beschnitten. Ich habe den Scherz nicht kapiert, aber meine Mama hat darüber gelacht.
»Ein wirklich toller Scherz«, sagte er leise.
Auf den Fotos waren außerdem mehrere Reihen von auf Hochglanz polierten Anschlüssen zu sehen, luxuriöse Armaturen, um die Wohnmobile mit Gas und Elektrizität zu versorgen. Die Sanitärbauten für Männer und Frauen hätten für riesige Raststätten wie Little America und Pedro’s South of the Border ausgereicht. Für kleine Gäste gab es einen Spielplatz. (Dan fragte sich, ob die dort spielenden Kinder wohl manchmal beunruhigende Dinge sahen oder spürten wie damals Danny »Doc« Torrance auf dem Spielplatz vom Overlook.) Ein Softballplatz, eine Shuffleboard-Anlage, zwei Tennisplätze und eine Boccia-Bahn rundeten das Angebot ab.
Allerdings kein Roque-Platz – das nicht. Nicht mehr.
Auf halber Höhe des Hangs – wo sich damals die Heckentiere des Overlooks versammelt hatten – war eine Reihe glänzend weißer Satellitenschüsseln aufgestellt. Und ganz oben, wo das Hotel gestanden hatte, war eine hölzerne Plattform errichtet worden, zu der eine lange Treppe hinaufführte. Diese nun im Besitz des Staates Colorado befindliche Stätte trug den Namen Dach der Welt . Die Besucher des Campingplatzes konnten sie kostenlos besteigen oder die Wanderwege
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