Doctor Sleep (German Edition)
Ärzte auch Feriensaison.
» Wann warst du eigentlich das letzte Mal zur Vorsorge?«, fragte Casey, als Billy endlich der Dampf ausging. Dan und Billy standen vor seinem Schreibtisch. Casey hatte seinen Bürostuhl nach hinten gekippt und den Hinterkopf an den gewohnten Ort gleich unter dem Kreuz an der Wand gelegt. Die Hände hatte er über dem Bauch verschränkt.
Billy sah schuldbewusst drein. »Ich glaube, das war 2006. Aber damals war alles in Ordnung, Case. Der Doc hat gesagt, mein Blutdruck wäre zehn Punkte niedriger als seiner.«
Caseys Blick richtete sich auf Dan. Er drückte Mutmaßung und Neugier aus, aber keine Zweifel. Gegenüber Außenstehenden verhielten AA -Mitglieder sich im Allgemeinen schweigsam, aber innerhalb der Gruppen wurde ziemlich freimütig gesprochen und manchmal auch geschwatzt. Deshalb wusste Casey, dass Dans Gabe, Todkranken beim Sterben zu helfen, nicht seine einzige Gabe war. Es ging auch das Gerücht, Dan T. habe von Zeit zu Zeit nützliche Eingebungen. Und zwar die Sorte Eingebungen, die man nicht genau erklären konnte.
»Du bist doch ganz gut mit Johnny Dalton befreundet, oder?«, fragte Casey. »Dem Kinderarzt?«
»Ja«, sagte Dan. »Ich treffe ihn meistens am Donnerstagabend oben in North Conway.«
»Hast du seine Telefonnummer?«
»Die habe ich tatsächlich.« Hinten in dem kleinen Notizbuch, das er einmal von Casey bekommen hatte und immer noch bei sich trug, stand eine ganze Liste mit AA -Kontaktnummern.
»Ruf ihn an. Sag ihm, es ist wichtig, dass dieser Bursche hier sofort von jemand untersucht wird. Du weißt nicht etwa, welche Sorte Arzt er braucht, oder? Für einen Kinderarzt ist er nämlich eindeutig zu alt.«
»Casey …«, warf Billy ein.
»Klappe«, sagte Casey und wandte sich wieder an Dan. »Ich glaube, du weißt es tatsächlich. Menschenskind! Ist es seine Lunge? So, wie er qualmt, liegt das am nächsten.«
Dan hatte den Eindruck, sich zu weit vorgewagt zu haben, als dass er jetzt noch einen Rückzieher machen konnte. Er seufzte und sagte: »Nein, ich glaube, es ist etwas in seinem Bauch.«
»Bis auf eine kleine Magenverstimmung ist mein Bauch …«
» Klappe, hab ich gesagt!« Und an Dan gewandt: »Also ein Internist. Sag Johnny D., es ist wichtig.« Er schwieg einen Augenblick. » Wird er dir glauben?«
Das war eine Frage, über die Dan sich freute. Seit er in New Hampshire war, hatte er mehreren Anonymen Alkoholikern geholfen, und er hatte zwar alle gebeten, nichts zu verraten, wusste jedoch nur zu gut, dass manche geplaudert hatten und das immer noch taten. Es war schön zu erfahren, dass John Dalton nicht dazugehörte.
»Ich glaube, das wird er.«
»Okay.« Casey deutete auf Billy. »Du hast heute Urlaub, und zwar bezahlten. Medizinische Gründe.«
»Die Riv …«
»In dieser Stadt gibt’s ein Dutzend Leute, die die Riv steuern können. Ich mache ein paar Anrufe und übernehme die ersten zwei Fahrten dann selbst.«
»Deine kaputte Hüfte …«
»Die interessiert mich nicht. Tu mir den Gefallen, und verschwinde jetzt aus meinem Büro.«
»Aber, Casey, ich fühle mich völlig …«
»Das ist mir egal, selbst wenn du dich gut genug fühlst, bis zum Lake Winnipesaukee zu joggen. Du gehst zum Arzt, und damit basta.«
Billy sah Dan vorwurfsvoll an. »Siehst du, in was du mich reingeritten hast? Ich hatte noch nicht mal meinen Morgenkaffee.«
Die Fliegen waren an diesem Morgen verschwunden – nur dass sie immer noch da waren. Dan wusste, dass er sich nur konzentrieren musste, um sie wieder zu sehen, wenn er das wollte … aber wer um Himmels willen hätte das gewollt?
»Ich weiß«, sagte Dan. »Das Leben ist ungerecht. Darf ich dein Telefon benutzen, Casey?«
»Nur zu.« Casey erhob sich. »Ich werde mal zum Bahnhof latschen und anfangen, die Fahrkarten zu lochen. Hast du ’ne Lokführermütze, die mir passt, Billy?«
»Nee.«
»Meine passt dir schon«, sagte Dan.
9
Für eine Organisation, die für ihre Aktivitäten keine Werbung machte, keine Waren verkaufte und sich mit zerknüllten Dollarscheinen finanzierte, die in herumgereichte Körbe oder Baseballmützen geworfen wurden, übten die Anonymen Alkoholiker im Stillen einen mächtigen Einfluss aus, der weit über die gemieteten Säle und Kirchenkeller hinausreichte, wo die Treffen stattfanden. Es war eine regelrechte Seilschaft, fand Dan, allerdings keine von alten Jungs, sondern eine von alten Säufern.
Nachdem er John Dalton angerufen hatte, setzte der sich mit einem Internisten
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