Dog Boy
Rücken rollen, wenn sie seinen Geruch außerhalb der Höhle oder im zerstörten Nest entdeckt hatte.
Eines Abends begann es zu schneien, und es schneite ununterbrochen bis in die Nacht. Als endlich der Morgen anbrach, hatte sich die Welt draußen verändert. Jedes Geräusch war gedämpft. Das Licht in der Höhle war schwächer geworden: Überall, wo der Fußboden über ihnen dem freien Himmel ausgesetzt war, lag nun eine dichte Schneedecke.
Romotschka spürte einen der großen Hunde in seiner Nähe. Es war Schwarzer Rüde, der mit glänzenden Augen und wedelndem Schwanz dastand. Romotschka begriff, jaulte kurz und folgte ihm. Als Schwarzer Rüde ihn hinausführte, musste Romotschka im längst vergessenen Licht blinzeln. Inzwischen war er seit über einem Monat nicht mehr bei Tag draußen gewesen. Die Erde war in Weiß gebettet, die Sonne nur eine weiße Scheibe am glanzlosen grauen Himmel. Das schwarze Fell des Hundes leuchtete im Schnee, die cremefarbenen Brauen und seine Maske schimmerten ungewöhnlich, und sein langes Winterfell bildete einen dicken Schal um Hals und Schultern. Schwarzer Rüde sah Romotschka mit leuchtenden Augen an; auch er war aufgeregt. Er leckte Romotschkas Gesicht und trabte zur Kirchentür. Der Junge schlitterte auf Socken durch den knirschenden Pulverschnee hinter ihm her, während Schwarzer Rüde an die morsche Tür urinierte und ihn aus dem Gebäude führte. Die Apfelbäume wirkten wie weiße Statuen, ihre Zweige im Gegenlicht. Die Stöcke, das gebeugte Gras und die geborstenen Balken im Hof waren mit Schnee bedeckt. Schwarzer Rüde führte Romotschka zum Tor und erstmals nach draußen.
Alles hatte sich verändert. Die Bäume sahen aus, als hätte man weiße Spitzenborte über die Landschaft gelegt. Romotschka blickte zur Stadt hinüber. Die Fassaden der Wohnblocks waren mit den geometrischen Mustern verziert, die der Schnee auf Tausenden von Geländern und Fensterbrettern hinterlassen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, Schnee je als etwas Schönes betrachtet zu haben.
Schwarzer Rüde brummte leise, und als Romotschka sich umdrehte, sah er ihn erst an den Torpfosten, dann draußen in der Gasse ans Ende der Straßenmauer, an die vordere Mauerecke und schließlich ans nächste Gebäude urinieren, einen dreistöckigen Betonrohbau, auf dessen Fußböden sich Schneewehen aufgehäuft hatten. Sorgfältig markierte Romotschka dieselben Stellen wie Schwarzer Rüde und hielt dabei jeweils so viel Urin zurück, dass es bis zum Schluss reichte. Schwarzer Rüde kontrollierte noch einmal ihre Fährte und zeigte sich zufrieden. Er lief in die Kirche zurück und sah sich am Höhleneingang mit wedelndem Schwanz nach Romotschka um. Diesmal kein Knaffen, nur eine freundliche Aufforderung. Wie höflich! Romotschka war begeistert, und als sich alle im Bett niedergelassen hatten, bot er ihm zögernd an, sich an ihn zu schmiegen. Schwarzer Rüde streckte sich einladend aus, und als Romotschka die Arme um seinen kräftigen Hals schlang und das Gesicht in dem berauschenden Fell vergrub, seufzte Schwarzer Rüde und leckte zum ersten Mal mit wahrer Zärtlichkeit das Gesicht des Jungen.
Von diesem Tag an markierte Romotschka sorgfältig ihr Revier; er wusste, dass alle Hunde es riechen würden und so erfuhren, dass er seine Aufgabe erfüllte.
Allmählich wurde es richtig Winter. Romotschka ging nur zum Urinieren ins eisige Dunkel hinaus. Er litt unter der langen Finsternis, das Licht in der Höhle war ein geradezu endloses, leeres Nichts. Beim Aufwachen fühlte er sich stets ausgeruht und zum Spielen bereit, doch wenn er die Augen aufschlug, sah er nichts als tiefste, trostlose Dunkelheit. Das Tageslicht war nicht mehr als ein schwacher Schein in der Nähe des Eingangs. Anfangs blieb er zitternd und unglücklich im Nest sitzen und wartete mit zunehmendem Verdruss auf den zaghaften Tag.
In der Dunkelheit jenes ersten Winters war Weiße Schwester stets bei ihm, wenn er sich nach ihr sehnte, noch bevor er die Hand nach ihr ausstreckte. Ab und zu kam sie herüber, um ihm Gesellschaft zu leisten, und er merkte, dass seine Fingerspitzen sie besser kannten als die anderen.
Er lauschte, während die anderen Welpen ohne ihn in der Höhle spielten, und wartete, bis etwas Licht hereinsickerte, bis die großen Hunde heimkehrten, bis die Welpen müde wurden und eine Weile mit ihm spielten oder bei ihm schliefen. Doch die erkannten bald, dass er sie in der Dunkelheit nicht sehen konnte, und ließen sich neue
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