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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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Spiele einfallen. Sie stürzten sich aus dem Nichts auf ihn und malträtierten ihn von allen Seiten; sie sprangen auf ihn, rangen mit ihm, küssten, schleckten und zwickten ihn. Er hörte auf zu schmollen und begann zu horchen, hörte, wo sie sich in dem großen Keller gerade aufhielten, erkannte die verräterischen Geräusche, die sie beim Anschleichen machten. Anfangs wusste er erst, wer ihn angesprungen hatte, wenn es bereits zu spät war. Grauer Bruder schoss auf ihn zu und war genauso schnell wieder weg. Schwarze Schwester kniff ihn immer am heftigsten. Brauner Bruder war schwerfällig, konnte sich nicht entscheiden, wo er zuerst zupacken sollte, und schnupperte lange, während er darüber nachdachte; und Weiße Schwester war sehr zierlich.
    Doch dann stellte Romotschka fest, dass er noch viel mehr wusste, ohne dass es ihm aufgefallen war. Jeder der Hunde schmeckte und roch anders. Die Rüden rochen ranzig. Weiße Schwester und Schwarze Schwester verströmten einen scharfen Geruch, der für ihn etwas Weibliches hatte – das hatten sie mit Mamotschka und GoldeneHündin gemeinsam. Außerdem bewegte sich jeder von ihnen anders. Brauner Bruder rutschte scharrend und kratzend über den Boden, wenn er bei einer Verfolgungsjagd die Richtung wechselte, und hechelte heiser vor Aufregung. Romotschka lernte, dass er unterscheiden konnte, ob Brauner Bruder jemandem nachjagte oder selbst verfolgt wurde. In den hastigen Atemzügen der Welpen hörte er Angst oder das Fehlen von Angst. Weiße Schwester erkannte er, sobald er sie mit den Händen berührte oder ihre Pfoten spürte. Zudem konnte sie sich bei der Jagd mucksmäuschenstill verhalten, und diese Lautlosigkeit inmitten all der Strömungen und Gegenströmungen in der Dunkelheit verriet ihm, wenn sie in der Nähe war und sich anschlich.
    Er wurde immer besser, und das hob seine Stimmung. Aufgerichtet im Nest sitzend, reckte er den Hals in die eine und dann in die andere Richtung, um zu lauschen und seine Verteidigung an ihren Angriffen auszurichten. Manchmal kicherte er vor angespannter Erwartung und musste versuchen, die Luft anzuhalten, um alles hören zu können. Und dann ging es los, das wogende Kampfgetümmel, bei dem sich ein Welpe nach dem anderen auf ihn stürzte, während er lachend und keuchend einen von ihnen abzuwehren versuchte, einen anderen biss, den dritten zu Boden drückte und den vierten zwischen seinen Knien einklemmte. Um Kopf und Hals zu schützen, bohrte er Löcher in seine Wollmütze, durch die er die Ohren stecken konnte, und zog die Mütze dann über Gesicht und Hals. Trotzdem wurde er jedes Mal verletzt, und wenn Mamotschka abends zu ihren Schützlingen zurückkehrte, leckte sie auch seine Wunden.
    Die Dunkelheit gab ihm das Gefühl, größer und geschmeidiger zu sein. Ein Schlag seiner Tatze schien dieKraft von vier Hunden zu haben. Seine Selbstwahrnehmung veränderte sich. Seine Zähne wurden länger, sein Biss war jetzt tödlich. Jegliche Schwäche fiel von ihm ab.
    Nach einer Weile begann er das Nest zu verlassen und Boden und Wände abzutasten. Der alte Schutt, die Knochen und die groben Holzbalken befanden sich noch immer da, wo er sie liegengelassen hatte, und doch war in der Dunkelheit alles anders, und außerdem war es eiskalt. Er ließ alles, wo es war, und prägte sich jeden Quadratzentimeter der Höhle genau ein. Dann lief er vorsichtig und mit vorgestreckten Händen durchs Dunkel, immer darauf bedacht, keine falsche Entscheidung zu treffen, bis ihm die Balken die Finger aufschürften und er in Richtung Wand abbog, wo der Weg frei sein musste. Schon bald bereitete es ihm keine Probleme mehr, durch die Dunkelheit zu laufen und Hindernisse zu überspringen. Mit den Fingern die mit Raureif bedeckten Außenwände entlangstreichend, konnte er sogar seine Geschwister jagen oder vor ihnen davonlaufen, ein Spiel, an dem sich die Welpen sogleich beteiligten.
    Wenn sie müde waren, ließen sich alle gemeinsam aufs Nest fallen und leckten einander in den Schlaf. Er zog seine Mütze ab und ließ sich von den Zungen einhüllen. Alle fünf leckten sich gegenseitig die Gesichter. Wenn Schwarzer Rüde nach Hause kam, nahm er Romotschka, aber niemals die anderen Welpen, mit hinaus und lief mit ihm über den Hof zur unbeleuchteten Straße. Nach der Stille in der eingeschneiten Höhle war diese halbvergessene Welt ein Schock. Die Kälte schnitt ihm in Gesicht und Hände, und er musste jedes Mal mühsam an seinen Sachen herumfingern und sich beeilen.

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