Dog Boy
Sachen. Seine Unterwäsche war ausgefranst, voller Löcher und stellenweise fast durchsichtig. Seine Mützen waren verschwunden. Aus seinen kaputten Stiefeln schauten die Zehen hervor. Stirnrunzelnd betrachtete er seine nackten Arme. Würden doch bloß die Haare wachsen.
Am nächsten Tag suchte er draußen auf dem Berg nach Kleidung statt nach Nahrung. Es war Kleidungszeit. Am Ende des Tages hatte er einen Haufen erstaunlich sauberer und robuster Sachen beisammen. Drei Stiefel, alle so groß, dass sie an beide Füße passten; ausreichend Socken für Hände und Füße; drei Hosen, eine sogar in Kindergröße; eine abgetragene blaue Strumpfhose; ein paar langärmelige Kleidungsstücke und – das Allerbeste – ein dicker Militärmantel. Und sogar eine Schnur, mit der er zu weite Sachen fest um seine schmalen Hüften binden konnte.
Er sah aus wie verwandelt, und als die Hunde in die Höhle kamen, testete er an ihnen sein neues Erscheinungsbild. Mit gesträubtem Fell knurrten und bellten sie seine ungewohnte Gestalt und seinen fremden Geruch an, und er war hochzufrieden. Dann sonnte er sich in dem lebhaften Interesse, das sie für jede Einzelheit seiner Kleidung zeigten.
Im Frühsommer tranken sie aus allen Pfützen und Lachen, die sie finden konnten. Manchmal lagen sie den ganzen Tag hechelnd und durstig in der Höhle und warteten darauf, am Abend endlich hinauszustürmen. Eines Tages fand Romotschka draußen im Schuttbett einen roten Eimer. Er füllte ihn an dem Wasserhahn, der an der Außenmauer der Kirche angebracht war, mit frischem Wasser und schleppte ihn über den Schutthaufen in die Höhle hinunter. Von diesem Zeitpunkt an hatten sie frisches Wasser, und Romotschka war ungeheuer stolz, wenn er die anderen trinken sah. Sobald das Wasser seltsam zu schmecken begann, wechselte er es aus, und als der alte Eimer kaputtging, suchte er einen neuen. Wenn er sich aber über die anderen ärgerte, stieß er den Eimer um und starrte sie wütend an.
Der Spätsommer war heiß und unbeschwert: Es gab Nahrung im Überfluss für die Rudel und einzelnen Streuner rings um den Berg. Romotschka gewöhnte sich daran, wieder trocken zu sein. Seine Wunden heilten, verblassten und wurden vergessen. Er vergaß auch, wie stark er im Dunkeln auf seine Ohren angewiesen gewesen war, denn erhatte sich daran gewöhnt, im Licht der langen Sommertage die Augen zu gebrauchen. Er spürte, wie die Körper seiner Geschwister breiter und kräftiger wurden. Schon bald würden sie ausgewachsen sein. Er selbst war zäh, drahtig und äußerst flink geworden, und dennoch war er bei der Nahrungssuche nicht annähernd so erfolgreich wie die Hunde.
Romotschka wollte endlich einmal eine richtige Mahlzeit nach Hause bringen, die er selbst erbeutet hatte. Weiße Schwester hatte einen Schinken mitgebracht, den sie irgendwo gestohlen hatte. Schwarze Schwester, die Klügste und Schnellste von ihnen, hatte einen Reiher erlegt. Gemeinsam mit Goldene Hündin hatte sie an den tief im Wald gelegenen Teichen gejagt, und doch war sie es gewesen, die den Vogel voller Stolz in die Höhle schleppte. Grauer Bruder hatte, ebenfalls mit der Hilfe von Goldene Hündin, ein paar Kätzchen erwischt. Sogar Brauner Bruder, der unglaublich groß und schwerfällig war, hatte Erfolg gehabt: Er hatte ein Baguette mitgebracht. Dabei hatte er sich im Höhleneingang verkeilt, und Romotschka musste ihm kichernd zeigen, wie man den Kopf seitwärts drehte und mit dem Brot voran hineinging. Als Brauner Bruder das Brot ablegte, hielten sich alle zurück und warteten, bis er beschloss, dass es allen gehören sollte. Inzwischen waren also alle außer Romotschka imstande, Nahrung heranzuschaffen, und erhielten die gebührende Anerkennung.
Dennoch wusste Romotschka, dass er nützlich war. Die Bergseite mit dem Hausmüll war leicht zugänglich, aber schon bald vollständig abgesucht. Mit einem Sack und mehreren Eimern und Plastiktüten bewaffnet, folgte er den Müllwagen und schnappte sich alles Essbare von den frisch abgeladenen Müllbergen. Für diese Art der Nahrungssuche brauchte man drei Rudelmitglieder – eins, das für ihnschnupperte, eins, das die Menschen und Hunde anknurrte, die aus demselben Grund dort waren, und ihn selbst mit seinen Händen, der alles suchte, packte und festhielt. Doch es war eine schmutzige Arbeit, und nichts dabei gab ihm das Gefühl, erwachsen zu sein wie die anderen.
Den Friedhof zu plündern, von Grab zu Grab zu ziehen und sich die Bonbons und Kekse zu
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