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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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zu versteinern. Die Birkenblätter klirrten leise, wenn sie herabfielen.
    Dann begann es auch noch frühzeitig zu schneien und hörte nicht wieder auf. Alles Lebende wurde kalt erwischt. Die noch grünen Blätter in den Büschen waren wie mit Zuckerguss überzogen. Der Schnee fiel von den überlasteten Zweigen, gefolgt von den gelben Blättern, die auf dem weißen Boden einen ausgebleichten Teppich bildeten. Im schwindenden Tageslicht wirbelten die Menschen und Hunde auf dem Berg umher, Nasen und Augen nordwärts in den Himmel gerichtet. Die Planierraupen und Lastwagen, die den ganzen Sommer lang unaufhörlich über die südlichen Berghänge gezuckelt waren, verschwanden in ihr Winterquartier, der Zigarettengeruch der Baggerfahrer kaum mehr als eine Erinnerung.
    Romotschkas Familie lief unruhig in der Höhle auf und ab, aber es wurde immer kälter. Normalerweise hätte der Schnee die Höhle behaglicher gemacht, da er sie versiegelte, doch diesmal merkten sie nur, dass es drinnen wärmer war als draußen, wenn sie in eine Welt hinaustraten, die an jedem Tag kälter war als in der Nacht zuvor. Romotschka konnte sich kaum durch den tiefen Schnee kämpfen. Nichts stimmte mehr.
    Im Dunkel der Höhle stand Mamotschka lauschend vor ihren drei neugeborenen Welpen, ohne ihr Gewinsel zu beachten. Romotschka sah, dass sie besorgt war und etwas wusste, das ihm entging. Plötzlich blinzelte sie langsam, neigte den Kopf und tötete alle drei. Einem nach dem anderen biss sie den weichen Schädel durch. Dann legte sie sich hin und fraß einen nach dem anderen auf. Zuerst schlang sie die Bäuche hinunter, dann zermalmte sie die winzigen knorpeligen Knochen, bis nichts mehr übrig war. Sie knurrte sogar Romotschka an, wenn er sich auf sie zubewegte. Danach schlief sie lange. In der Nacht hörte er, wie sie sichgemächlich leckte. Sie beachtete ihn nicht und machte auch keine Anstalten, auf Nahrungssuche zu gehen. Romotschka schlief unruhig und zitterte vor Kälte, obwohl seine Geschwister sich an ihn schmiegten und er seine ganze Kleidung trug.
    Im schwachen Morgengrauen, das sie eher hörten und rochen als sahen, stellte Romotschka fest, dass sie völlig eingeschneit waren. Ängstlich kroch er an Mamotschkas Seite. Die leckte sein Gesicht, drückte seinen großen Kopf mit der Pfote auf den Boden und säuberte seine Ohren. Er ließ sie gewähren. Als er sich auf ihre Zitzen zubewegte, knurrte sie, doch er wartete und bettelte so lange, bis sie schließlich nachgab.
    Schwarzer Rüde und Goldene Hündin, die die ganze Nacht über erfolglos nach Nahrung gesucht hatten, gruben sich von außen in die Höhle. Sie begrüßten die anderen und brachten auf ihren zottigen Schultern die Kälte herein. Mit tiefem Schnuppern rochen sie am leeren Nest. Dann warteten sie mit den jüngeren Hunden auf die Dämmerung. Alle mussten auf Nahrungssuche gehen.
     
    Sogar im Winter gab der Berg so viel Wärme ab, dass der tiefe Schnee schmolz und der ständige Chemiegestank in den eiskalten Wald und zu den Mietskasernen und Wohnblocks hinübertrieb. Im Aufwind kreisten und schrien zottige Vögel – Möwen und graue Raben –, die selbst wie windzerzauste Müllfetzen aussahen. Schneestürme hielten die Lebewesen in ihren Höhlen oder Hütten fest. Zwischen den Stürmen war die Erde weich und instabil, der Himmel fest wie Metall. In diesen Ruhepausen gingen alle auf Nahrungssuche. Für die Hunde verlief die Suche mal mehr, mal weniger erfolgreich, für die Menschen aber war sie äußerstanstrengend. In der Winterdämmerung schleppten sich gebeugte Gestalten den Berg hinauf und herunter oder den Fluss entlang, wo sie nach Schrott und Holz stocherten oder nach Nahrung suchten. Der Berg war bei Tag und Nacht von Feuern umgeben.
    Aus nächster Nähe betrachtet, bestand die gesamte Umgebung des Bergs aus Bewegung. Schneeflocken tanzten und wirbelten im Rauch, der von den Feuern aufstieg. Menschen stapften und wankten in ihrer unförmigen Kleidung hierhin und dorthin; Hunde liefen umher. Vögel stießen herab und wirbelten mit ihren Flügeln den Schnee auf.
     
    Romotschka wusste davon nur wenig. Durch die Kälte an die Höhle gefesselt, war er angewiesen auf die Nahrung, die die anderen mitbrachten, und auf die Milch, die er trank. Er wartete darauf, dass die Temperatur wieder anstieg und der Schnee verkrustete. Die Stürme der ersten zwei Wochen forderten von allen ihren Tribut, und als sie vorbei waren, hielt es Romotschka nicht länger in der Höhle aus. Er zog

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