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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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schnappen, die dort zurückgelassen wurden, war da schon schwieriger. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit wimmelte es auf dem Friedhof von Hunden und Menschen, die alle dasselbe taten. Romotschka träumte immer wieder davon, wie er aus seiner Deckung aufsprang, irgendeinem anmutigen Tier das Genick brach und ganz allein frisches Fleisch nach Hause brachte.
    Er merkte, wie Goldene Hündin ihn gelegentlich anblickte, und glaubte zu wissen, was sie sah. Seine Geschwister schafften inzwischen Nahrung für das ganze Rudel herbei. Nur er brauchte immer noch Hilfe. Im Laufe des Sommers jedoch begann ihn sein Geschick beim Aufsammeln mit heimlichem Stolz zu erfüllen. Seine Hände konnten etwas, wozu ihre Pfoten und Zähne nicht imstande waren. In letzter Zeit hatte er auf den frischen Müllhaufen reiche Beute gemacht, und wenn ihn seine Geschwister beschützten, konnte er sicher sein, dass er seine Fundstücke auch behielt.
    Mit so vielen Nahrungssuchern und Romotschkas eingesammelten Abfällen und Süßigkeiten waren sie ein schmutziges, aber ansehnliches Rudel, und mit der Zeit verschwanden Romotschkas Rippen unter einer dicken Muskelschicht.
    In manchen Nächten gingen sie in die Ruine oder auf die Freifläche, um zu singen. Sie sangen allen Rudeln am Bergvor, dass ihr Sommer freudvoll war, dass sie im Überfluss lebten, ihre Körper kräftig und geschmeidig und ihre Hoffnungen groß waren. Sie besangen ihre eigene Kraft für den alles überspannenden Himmel und die glitzernde Stadt. In der Ferne sangen auch die anderen Rudel. Doch als Romotschka seinen riesigen Kopf zurückwarf und mit seiner hellen Stimme in den Chor seiner Familie einstimmte, verstummten die anderen Rudel.
     
    Mit Mamotschka ging etwas vor, das Romotschka im Gegensatz zu den anderen nicht riechen konnte. Sie blieben fortwährend in ihrer Nähe, folgten ihr durch die Höhle und kosteten den Geruch aus. Alle waren glücklich und aufgeregt, und Mamotschka genoss ihre Aufmerksamkeit – bis zu einem gewissen Punkt: Wenn sie ihrem Geruch zu sehr verfielen, verscheuchte sie sie. Dann kam eine Zeit, in der das Ganze ein ritueller Tanz zu sein schien und sie weder angeknurrt noch gemaßregelt wurden. Abwechselnd umkreisten sie Mamotschka, ließen aber wieder von ihr ab, bevor sie wütend wurde. Alle außer Schwarzer Rüde tanzten bei jeder Begegnung mit demselben Respekt kurz um Mamotschka herum, wichen dann zurück und beobachteten, wie Mamotschka und Schwarzer Rüde miteinander spielten, kämpften und wieder spielten. Dann paarten sich Mamotschka und Schwarzer Rüde zwei Tage lang und taten nichts anderes: Sie vereinigten sich, umklammerten sich, hechelten, trennten sich. Sie blieben stundenlang ineinander verkeilt, erschöpft, ausschließlich aufeinander konzentriert, während der Tag in die Abenddämmerung überging. Sogar Romotschka konnte sie jetzt riechen und war vor Aufregung ganz kribbelig. Er verspürte ein unbegreifliches Glücksgefühl, während er ihnen gemeinsam mit den anderen Hunden vom Rand des Tanzplatzes aus zuschaute. Es gab keinen Neid. Eine feierliche Zufriedenheit lag in der Luft, und Romotschka ahnte, dass sie alle, auch er selbst, mit der Nahrungssuche auf diesen Augenblick hingearbeitet hatten und dass mit dem Tanz von Mamotschka und Schwarzer Rüde ihr Sommer seine Erfüllung gefunden hatte.
    ˜
     
    Stille erfüllte die kühler werdende Luft. Die Vögel regten sich nicht, und das seltsame goldene Herbstlicht legte sich über die Wälder, die Bäume in den Parks und die Hochhaushöfe.
    Doch dann war der goldene Herbst plötzlich vorzeitig vorbei. Drei kalte Frosttage verbrannten alle empfindlichen Pflanzentriebe, färbten manche Blätter schwarz, gefriertrockneten andere und malten sie braun. Zwei Tage lang roch das Ödland nach Heuernte – oder nach Tee: Gras und Blätter, die vom Eis, nicht von der Sonne getrocknet wurden. Die Blätter der Zitterpappeln waren wie Schwärme goldener Vögel in geschlossener Formation durch die Luft geflattert. Inzwischen waren die Bäume halb kahl und nur noch stellenweise belaubt. Romotschka, die Hunde, die grauen Krähen und die kleineren Vögel verschlangen die leuchtenden Vogelbeeren, die vor dem Frost noch ungenießbar gewesen waren.
    Die von Norden kommende Kälte war so schlimm wie noch nie. An klaren Tagen war es bitterkalt. Der Himmel erstarrte zu einer festen Scheibe, und Romotschka spürte, wie die Luft gefror, die seinen Körper verließ. Die Stadt schien in der vorzeitigen Winterkälte

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