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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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umzudrehen, erst die Freifläche zu überqueren, den Pfad am letzten Treffpunkt neu zu schließen und dann von den Baustellen aus zum Berg aufzubrechen. Der Pfad dorthin war eine deutlich gekennzeichnete Fährte durch das Unkraut am Rand des Friedhofs. Er lernte, den Pfad in einer Reihe mit den anderen entlangzugehen und auf alles zu achten, was sich bewegte oder ein Geräusch machte. Indem er seine Familie beobachtete, lernte er, dass alle schnupperten und horchten, ob die Luft rein war oder ob Gefahr drohte, und er versuchte, mit seinen Augen und Ohren dasselbe zu tun. Er lief leicht gebückt und drehte den Kopf mal in die eine, mal in die andere Richtung.
    Alle Menschen waren gefährlich, ohne Ausnahme. Sie lauerten wie Dämonen am Rand von all dem, was in seiner Welt wichtig war, doch zugleich waren sie ihm auch vertraut. Draußen auf dem Berg oder zwischen den Birken fiel ihm ein Fremder ebenso auf wie allen anderen. Er lernte, die regelmäßigen Besucher zu erkennen: die Fahrer der Lastwagen, die sich den Berg hinaufschlängelten, um Müll abzuladen; und die Baggerfahrer, die beide dieselbe Zigarettenmarke rauchten.
    Auch die Menschen auf dem Berg und im Dorf gehörten in gewisser Hinsicht zu ihm. Der Einbeinige, der beim Hinken klapperte und schlurfte; die Alte, die immer Iwan! Iwaaan! rief. Bilder, Geräusche und Gerüche. Der Blumenduft, der die hagere Frau mit dem zerschlitzten Mund und ihre langhaarige Tochter umgab. Romotschka kannte sie alle, ohne hinschauen zu müssen. Die Einzelgänger und die Eltern, die Liebespaare und die Kinder. Er ging ihnen aus dem Weg und vergaß sie.
     
    ~
     
    Die Probleme des Spätwinters waren längst vorbei, doch wenn Schwarze Schwester in die Höhle kam, herrschte immer noch eine leichte Anspannung, die sich erst auflöste, wenn sie wieder ging. Die Unruhe, die ihr Zorn in der Höhle ausgelöst hatte, legte sich wieder, doch keiner vergaß sie. In Romotschkas Nähe war Schwarze Schwester fast nie zum Spielen aufgelegt, und alle lernten, sich beim Herumtollen und in ihrer Zuneigung zu ihm zu mäßigen, wenn sie dabei war, besonders in der Höhle.
    Manchmal, wenn er mit Grauer Bruder in den Keller zurückkam, sah Romotschka Weiße Schwester, Brauner Bruder und Schwarze Schwester unbeschwert miteinander spielen, die Luft erfüllt vom Geruch eines schlichten Glücksgefühls. Doch bei Romotschkas Anblick und Geruch entfernte Schwarze Schwester sich sogleich, legte sich allein aufs Bett und überließ ihm ihre Rolle in dem Spiel. Später ging sie dann auf ihn los, weil er angeblich einen Vorstoß auf ihren Schlafplatz gemacht hatte. Auch wenn Schwarze Schwester im Nest schlief, verteidigte sie ihren persönlichen Bereich jetzt immer häufiger durch ein Brummen und steckte so für alle, die es darauf anlegten, ihr Territorium ab.
    Aber wenn Romotschka sich mit Schwarze Schwester einen Knochen teilte und alle anderen anknurrte, stellte er fest, dass seine schwierige Schwester wie verwandelt war. Wurde er sonst im Dunkeln von ihr angeknurrt und trug schmerzhafte Bisse davon, so wurde er nun von ihr liebevoll geleckt. Sie machte ihm sorgfältig neben sich Platz und wehrte dann alle anderen ab, halb spielerisch, aber nicht ohne Ernst. Als der Sommer nahte und Romotschka sich zunehmend bemühte, ihr immer wieder für eine Weile seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, nach der sie sich so sehnte, ließ ihre Eifersucht nach.
    Die Gefühle von Schwarze Schwester waren gleichbleibend und vorhersehbar; doch Romotschka war unbeständig. Manchmal schubste er einen der anderen Hunde in die unsichtbare elektrisch aufgeladene Zone, die Schwarze Schwester umgab. Besonders zwischen ihr und Weiße Schwester konnte er auf diese Weise rücksichtslose Kämpfe auslösen. Sie starrten sich grimmig an, während Romotschka sie gegeneinander aufwiegelte.
    Eines Tages stöberten Romotschka und Schwarze Schwester in den Spätfrühlingsblumen auf dem Hof eine Ratte auf. Sie huschte in die Ruine und schlüpfte durch einen Spalt im Fußboden in die Höhle. Schwarze Schwester rannte auf den Eingang zu und krabbelte, gefolgt von Romotschka, der vor Aufregung brüllte, in die leere Höhle hinab. Schwarze Schwester spürte die Fährte auf, doch es war klar, dass die Ratte unter einem Stapel aus Kisten, Latten und anderem Holz in Deckung gegangen war, und der war so schwer, dass Romotschka ihn nicht von der Stelle bewegen konnte. Schwarze Schwester kauerte sich nieder und schnupperte mit wedelndem Schwanz und

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