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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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Fremden vereinbart, ihr persönliches Territorium schrumpfen zu lassen, wenn sie auf einen Zug warteten. Die Leute starrten ausdruckslos geradeaus oder die Gleise entlang, ohne dass ihre Blicke sich trafen. Die bomschi, deren persönliches Territorium etwas größer war, warteten ebenfalls auf einen Zug, oder sie lagen in den Ecken oder standen neben vollgepackten, mit Planen abgedeckten Einkaufswagen. Romotschka sah Bandenkinder und obdachlose Kinder. Manche schlängelten sich zwischen den Leuten hindurch und baten leise um Münzen.
    Erinnerungen stiegen in ihm auf, und seine Nackenhaare kräuselten sich. Er spürte beinahe wieder die Fahrkarte in seiner Hand, die andere Hand schwitzend und warm im Griff seiner Mutter. Ein kleiner Junge, der vor sich hinplapperte und niemanden beachtete. Nicht gezwungen, alles um sich herum im Auge zu behalten. Und plötzlich verspürte Romotschka schreckliche Sehnsucht nach seiner verlorenen Kindheit, dem festen, warmen Griff seiner Mutter. Doch dann legte Weiße Schwester sich auf seinen Fuß, und seine Augen wurden müde vom Betrachten der Leute, die aus den Zügen heraus- oder in sie hineinströmten. Die prachtvollen, schönen Bilder an den Wänden bereiteten ihm allmählich Kopfschmerzen, und sein leerer Magen knurrte. Das Gefühl, von Gefahren umgeben zu sein, die er weder sehen noch riechen konnte, wurde immer stärker. Weiße Schwester hatte ihre schlotternde Angst auf seinen Füßen weggeschlafen und seiner Sorglosigkeit vertraut, doch jetzt erwachte sie vom Geruch seines Angstschweißes. Er stand auf, und sie fuhren auf der ehrfurchtgebietenden Rolltreppe wieder dem Tageslicht entgegen.
    Doch nach nur einem halben Tag zu Hause sehnte er sich wieder zurück.
     
    ~
     
    Plötzlich aus ihrem Nachmittagsschläfchen geschreckt, richteten sich alle auf. Mamotschka, Goldene Hündin und Schwarzer Rüde knurrten leise – ein allmählich lauter werdender, bedrohlicher Chor. Den Hunden sträubte sich das Fell, und Romotschka kribbelte es im Nacken und an der Wirbelsäule. Über ihnen stolperte jemand in der Ruine herum, stöberte, trampelte und schleifte dann einen Balken über die Erde. Danach hörten sie Stimmen: Oben in der Ruine waren zwei Männer.
    Romotschka flitzte zum Holzhaufen und kletterte hinauf, während die Hunde wachsam und ängstlich auf und ab liefen. Romotschka sah Beine, die in gelben Fellstiefeln steckten. Er summte eine leise Warnung, und die Hunde verstummten und versammelten sich unter ihm. An ihren Mienen las er, dass sie ihm bedingungslos vertrauten, und ihm schwoll die Brust vor Stolz. Er summte seinen tiefsten, leisesten Ton, hielt dann inne und horchte. Die Stimme des zweiten Mannes ertönte über dem anderen Ende des Kellers, und Mamotschka, die Romotschkas reglose Gestalt nicht aus den Augen ließ, sorgte dafür, dass die anderen still blieben. Der Mann in den Fellstiefeln brummte direkt über ihnen: »Hier ist es doch prima. Wovon hat der Idiot bloß geredet?«
    Der andere murmelte irgendetwas Unverständliches.
    »Das ist mir scheißegal – schau dich doch mal um. Mit dem ganzen Zeug können wir ein Haus bauen. Und wenn alle Angst vor der Ruine haben, umso besser. Dann lassen sie uns in Ruhe, kein Problem.«
    Romotschka kletterte wieder hinunter. Die Hunde liefen unglücklich auf und ab, und Romotschka hörte mit wachsender Wut, wie die beiden Männer oben irgendwelche Sachen hin und her schleiften. Die Hunde blickten ihn immerwieder fragend an, und Mamotschka leckte ihn sogar jedes Mal, wenn sie vorbeiging, ein ehrerbietiger Kuss, der ihm innerlich wehtat. So hatte Mamotschka ihn noch nie geleckt; er spürte ihre Zunge immer wieder in seinem Mundwinkel, spürte, dass sie wartete. Darauf wartete, dass er ihnen sagte, was sie tun sollten .
    Der Abend brach an, aber es war keine beruhigende Dunkelheit. Die Männer entzündeten oben in der Ruine ein prasselndes Feuer und murmelten oder sprachen laut über ein Stück Rindfleisch, das sie beschafft hatten. In dem flackernden Licht, das durch den rissigen Boden fiel, wirkte die Höhle durchlässig und instabil. Der Geruch von gebratenem Fleisch und Zwiebeln erfüllte den Keller.
    Romotschka kletterte wieder auf den Holzhaufen und starrte zu seiner Familie hinunter, die im Halbkreis vor ihm stand. Inzwischen wussten alle, dass die Männer in die Ruine ziehen und ihre geschlossenen Pfade übernehmen wollten.
    Mamotschka blickte ruhig zu ihm auf. Goldene Hündin, die reglos auf ihrem Posten am Eingang saß,

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