Dog Boy
stand plötzlich auf und stellte sich neben Mamotschka. Sie hob den Kopf, fixierte Romotschka mit aufgestellten Ohren und wedelte leicht mit dem Schwanz. In ihrem Blick lag keinerlei Verwirrung. Sie sah aus wie Schwarzer Rüde – leidenschaftlich und ungeduldig. Bereit.
Romotschka wurde beinahe schwindlig von seinem Entschluss: Er würde die Männer vertreiben.
Als er hinabsprang, war er ganz aufgeregt. Leise rief er alle zu sich und sprang auf allen vieren den Schutthaufen hinauf ins Mondlicht und in den Feuerschein. Er spürte, wie sich ihr gesamter Mut hinter ihm ballte und wie eine Windböe erhob. Goldene Hündin lief auf der einen Seite,Weiße Schwester auf der anderen, und die Übrigen folgten ihm auf den Fersen. Romotschka blieb nicht stehen, um nachzudenken. Er sprang die vertrauten Steinblöcke hinauf auf die nächstgelegene Brüstung. Die Hunde verteilten sich unten im Schatten, und er streckte seinen Zottelkopf dem Mittsommermond entgegen. Mit seinen Fingern krallte er sich an den Steinen fest, und dann stieg ein dröhnendes Heulen aus seiner Kehle, gewaltiger als sein ganzer kleiner Körper. Unten, im Schatten verborgen, beantworteten die Hunde sein Heulen. Dann herrschte Stille.
Die beiden Männer sprangen auf und spähten in die Dunkelheit.
»Aljoscha, was war das ?«
»Hunde? Beruhig dich, Juri – die wagen sich nicht in die Nähe des Feuers.«
Romotschka starrte von der Brüstung hinab. Er fühlte sich ungeheuer stark. Vor ihrem Feuer hatte er keine Angst! Er kicherte laut, und die beiden Männer zuckten zusammen. Während Mamotschka die Hunde außen um die Ruine herumführte, wartete er leise summend und stachelte sie so zum Tanz an – es war ein brummender Gesang, kein Knurren.
»Aljoscha, was ist das ?« Juri deutete direkt auf Romotschka.
Aljoscha starrte die Silhouette an.
»Eine Statue, ein kleiner Löwe?«
Juri lachte nervös. »Ich schwöre, es hat sich bewegt!«
»Ha! Du bist ja besoffen, du Schwachkopf. Steine können sich doch nicht bewegen.«
Juri erschauderte.
Als Romotschka sich auf der Brüstung plötzlich aufrichtete, schrien Aljoscha und Juri laut auf. Romotschka heultewieder, und die Hunde, die noch immer draußen vor der Ruine warteten, antworteten ihm. Er stand einen Augenblick da, sprang dann hinunter und lockte die anderen mit seinem Gesang näher heran. Aljoscha und Juri rangen nach Luft. Wohin sie sich auch wandten, überall sahen sie die funkelnden Augen der sechs Hunde. Romotschka sprang auf allen vieren am Rand des Feuerscheins auf und ab, erhob die Stimme und peitschte das Brummen seiner Gefährten zu einem Crescendo. Die beiden Männer schrien wieder und rannten zum Haupteingang, während der geifernde Lärm des Rudels ringsum die Luft erfüllte.
In seiner ersten Nacht als Anführer wärmte sich Romotschka mit seiner Familie an der Glut des Feuers und fraß heißen, halb rohen Rindergulasch.
~
Jede Metrostation hatte ihren eigenen Charakter. Romotschka war wie betäubt durch anmutige Steinwälder gestreift, vorbei an Palisaden, an Mosaiken, an Bogengängen voller Statuen, an Landschaftsgemälden, seine Auffassungsgabe zum Zerreißen gespannt von einem seltsam angenehmen Schmerz. Auf den Bildern hatte er Kinder entdeckt, alle hübsch und blond, auch Haushunde und noch größere Tiere. Er hatte diese Scharen von bunten Helden, diese vielen Leute, die nie nach Hause oder auf Nahrungssuche gingen, genau betrachtet und gespürt, wie sein Herz vor schier unerträglicher Freude pochte. Irgendwo auf diesen Bildern würde er Pewiza, seine Sängerin, entdecken – in all ihrer Strenge und Schönheit, und auch sie würde flach und jeden Tag gleich sein, aber dennoch neu; sie würde stumm sein und dennoch singen.
Doch diesmal war alles anders. Er glotzte weder an die Decke noch starrte er seine Lieblingsgemälde an, sondern ging hinunter bis fast ans Ende der Menschenmenge, stellte sich, ohne jemanden anzusehen, schwitzend an die Bahnsteigkante und setzte den einstudierten, bewusst gleichgültigen Blick auf, den er schon so oft gesehen hatte. Das konnte er gut, und es gefiel ihm. Er sagte sich, dass auch ausgewachsene Hunde so taten, als sei der andere gar nicht da, als sei er keine Bedrohung, und dann wirkten auch sie nicht bedrohlich.
Die Leute, die sich wegen des schrecklichen Gestanks umblickten, hatten nicht die Zeit, Romotschka als dessen Ursprung auszumachen. Mit einem allmählich leiser werdenden, das Dröhnen der Lokomotive übertönenden
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