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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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stundenlang in der Metro, die er erst verließ, wenn er glaubte, die anderen Hunde hätten genug Zeit gehabt, um etwas zu fressen zu ergattern, oder wenn seine eigene Tüte voll war. Nach und nach kehrten seine regelmäßigen Spender zu ihrem gewohnten Verhalten zurück. Sie brachten ihre Essensreste von zu Hause mit, und manche halfen auch auf andere Weise. Die hagere Frau schenkte ihm irgendwann einen altbackenen Kuchen und ein Paar dicke Erwachsenenfäustlinge; an einem anderenTag warf der dwornik eine Wollmütze mit Ohrenklappen vor ihn auf den Boden.
     
    Eines Tages, als er durch die Metrotüren in die graue Welt hinausstolperte, wehte ihm eine sanfte Brise ins Gesicht, und ein neuer Duft drang in seine Nasenlöcher. Es hatte begonnen zu tauen.
    Laurentia brach bei ihrem Wiedersehen in Tränen aus und füllte Romotschkas Napf immer wieder auf. Als sie sah, wie abgemagert er war, schnalzte sie mit der Zunge. Sie lachte viel und sang, und als er sich besorgt nach den Gangstern und der milizia erkundigte, klatschte sie mit einer Hand auf die Rückseite der anderen, als wollte sie ein Insekt zerquetschen. »Eines Tages wird das Dach untergehen!«, sagte sie leichthin, und auch Romotschka grinste, obwohl er keine Ahnung hatte, was sie damit meinte. Zu seiner Überraschung und Freude hielt sie sogar für einen Moment den Atem an, beugte sich vor und umarmte ihn.
     
    ~
     
    Das Stadtgebiet, in dem sie auf Nahrungssuche gingen, war mit der Zeit immer größer geworden. Zur aufgehenden Sonne hin bildete eine breite Landstraße, wo bei Tag und Nacht dichter Verkehr herrschte, die Außengrenze. Für den Marsch dorthin und wieder zurück brauchte man einen ganzen Nachmittag und den Abend. Zwischen aufgehender und untergehender Sonne bildete der breite braune Fluss die südliche Grenze, so weit entfernt, dass sie erst nach dem Tauwetter hingelangen konnten. Für Hin- und Rückweg würden sie vermutlich den ganzen Tag brauchen. Zwischen dem Fluss und der aufgehenden Sonne lagdas Roma. Im Norden, wo die Fremdlinge im Winter herkamen, bestand die Grenze aus dem Rand eines unwegsamen Waldes, vor dem sich Mamotschka fürchtete, denn dort gab es Elche.
    Innerhalb dieses Gebietes lagen mehrere Metrostationen, und allmählich machte Romotschka sich mit allen vertraut. Doch Frühling und Sommer brachten Veränderungen. Beamte und Angehörige der milizia verfolgten ihn, wenn sie ihn sahen; manchmal wurde ein Hundeverbot durchgesetzt; und die Leute machten einen Bogen um ihn, hielten sich die Nase zu und starrten ihn viel häufiger stirnrunzelnd an als im Winter.
     
    Er suchte die Metrostationen jetzt nicht mehr bloß wegen der Wärme auf: Er beobachtete die Leute. Weit unter ihnen spürte und roch er die Züge, die dort fuhren und an die er sich noch dunkel erinnern konnte. Romotschka erforschte seine vertraute Metro immer weiter, tiefer. Er ging an den Geschäften in der Nähe des Eingangs vorbei in die hohe Vorhalle vor den Drehkreuzen und dem Abgrund der Rolltreppen. Er beobachtete, wie die Leute auf- und abwärts fuhren; wie sie Fahrkarten kauften, durch die Drehkreuze gingen und dann allmählich verschwanden: zuerst ihre Beine, dann ihr Rumpf und schließlich ihr Kopf. Auf der anderen Seite dieses gewölbten Schlunds tauchten Köpfe mit ausdruckslosen Gesichtern auf, regungslose Schultern, Hände, Beine. Und wenn die Füße auftauchten, bewegte sich plötzlich der ganze Mensch und marschierte davon.
    Er begann, ein paar Münzen in seinen Taschen mitzunehmen, und erschien eines Tages mit heftig gerunzelter Stirn an der hohen Kabine des Kassierers. Er trat einen Schritt zurück, damit der Kassierer sah, dass er da war,beugte sich vor und streckte die Hand aus. Zu seiner Bestürzung reichte er nicht ganz an das Münzfach heran und musste seine vier Münzen auf die Ablage vor dem kleinen Glasfenster fallenlassen. Er hatte oft genug beobachtet, dass diese Geschäfte meist wortlos abgewickelt wurden, deshalb wartete er mit pochendem Herzen. Es funktionierte. Der gelangweilte Kassierer sah ihn nur flüchtig an, als er ihm eine Fahrkarte und zwei andere Münzen zurückgab. Seine erste Fahrkarte verlor er auf dem Heimweg.
    Mit der Zeit bekam er Übung. Wenn der Kassierer wartete oder verärgert dreinblickte und ihn anblaffte, legte er noch eine Münze dazu. Manchmal gab ihm der Mann, wie beim ersten Mal, zusammen mit der Fahrkarte einige Münzen zurück. Das Ganze war aufregend und rätselhaft. Etwas, das er den Hunden nicht erklären

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