Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
Vom Netzwerk:
konnte.
    Als er den Kauf der Fahrkarten nach einer Weile beherrschte, beschloss er, sie auch zu benutzen und wie die anderen Leute durch die Drehkreuze zu gehen. Er passte genau auf. Man musste seine Fahrkarte in den Automaten stecken, und zwar so , sie wieder herausziehen, so , und dann durchmarschieren. Ohne Fahrkarte würde das Drehkreuz plötzlich zum Leben erwachen und mit seinen beiden Metallarmen gegen seine Beine und Schenkel krachen. Weiße Schwester musste sich beim Durchgehen flach auf den Boden drücken, damit die Metallarme sie nicht erreichen konnten. Das würde er ihr sagen. Er hatte gesehen, wie Jugendliche über die Arme hinwegsprangen und ein Hund darunter hindurchtauchte, ohne dass ihnen die Metallarme etwas anhaben konnten.
    Stundenlang saß er da und beobachtete, versuchte den Mut aufzubringen, es selbst auszuprobieren. Er hatte sich das Ganze so oft vorgestellt, dass es ihm wie ein Traum vorkam, als er schließlich aufstand und losging.
    Die Rolltreppe schien endlos zu sein. Weiße Schwester saß eine Stufe unter ihm, machte sich ganz klein und presste ihren zitternden Körper fest an seine Knie. Das Einschnappen der Drehkreuzarme über ihrem Kopf hatte ihr einen großen Schreck eingejagt, und er spürte, dass die Fahrt auf der Rolltreppe beinahe zu viel für sie war. Auch ihm zitterten die Knie, und er hatte Angst. Gleichzeitig aber war er begeistert, erfüllt von einer Woge aus Mut und Schwäche, wie man sie verspürt, wenn man die Grenze zu einem fremden Territorium überschreitet.
    Als sie unten ankamen, fiel ihm die Kinnlade herunter. Er war noch nie an einem so schönen Ort gewesen. Mit starrem Blick betrachtete er das hoch aufragende Gewölbe mit den wunderbaren Gemälden an Wänden und Decke. Plötzlich erfüllte ein entsetzlicher Lärm und Tumult die Luft. Er packte Weiße Schwester, die ausreißen wollte, und knurrte ihr ins Ohr, bemühte sich, sie mit seinem Willen festzuhalten, denn seine Körperkraft allein reichte nicht aus. Der Lärm verwandelte sich in ein schrilles, ohrenbetäubendes metallisches Kreischen, und ein Zug hielt am Bahnsteig. Plötzlich war nur noch ein stetiges Dröhnen zu hören. Romotschka und Weiße Schwester versperrten das Ende der Rolltreppe, und die Leute strömten in wahnsinniger Eile um sie herum. Als sich das Dröhnen des Zuges wieder in ein jähes Kreischen verwandelte, knurrte Romotschka Weiße Schwester ins Ohr, bis der Zug losfuhr und wie eine Schlange in das dunkle Loch am anderen Ende des Bahnsteigs schnellte. Noch immer hielt er Weiße Schwester in festem Griff. Sie zitterte heftig, hauptsächlich weil sie durch den wogenden Wald aus Beinen keinen Fluchtweg sah, der auf der dunklen Rolltreppe wieder nach oben führte.
    Er schob sie zur Seite und setzte sich mit ihr zwischeneinen Abfalleimer und eine kunstvoll verzierte Bank. Die Leute auf der Bank erstarrten, schnüffelten, sahen ihn wütend an und standen dann auf, um sich woanders hinzusetzen. Er murmelte Weiße Schwester beruhigend ins Ohr, während ein weiterer Zug kreischend am gegenüberliegenden Bahnsteig einfuhr, dröhnend stehenblieb, sich leerte, sich wieder füllte, kreischend davonfuhr und die ganze riesige Halle mit einem ohrenbetäubenden Lärm erfüllte.
    Er hielt sie fest, bis sich ihr Herzschlag ein wenig beruhigt hatte. Die monströsen Züge kamen und verschwanden so oft, dass sich ihr Fluchtreflex bald verlor und sie sich an ihn schmiegte und die Qualen ertrug. Romotschka lächelte glücklich und betrachtete die schönen, sauberen Gesichter der Männer und Frauen ringsum, alle in kräftigen Farben gemalt und mit einem Rahmen aus gemeißeltem Stein versehen. Sein Herz glühte beim Anblick von Männern und Frauen, die einen roten Traktor anhoben, Weizen ernteten oder in der Sonne eine Ziegelei bauten. Menschen mit entschlossenen Gesichtern, die ihre Gewehre auf unsichtbare Eindringlinge richteten. Immer in Sonnenlicht getaucht, obwohl der echte Himmel draußen die Farbe von Flusswasser hatte.
    Er ließ die schwieligen Pfoten über die Wände gleiten und starrte mit offenem Mund hinauf, ohne die Flüche der Leute zu bemerken oder zu hören, die ihn erst mit Beschimpfungen zu vertreiben suchten und sich dann aufrappelten, um seinem Gestank zu entkommen.
    Eine riesige Menschenmenge versammelte sich an der Bahnsteigkante, alle dicht an dicht, und doch so weit voneinander entfernt, dass jeder für sich allein stand. Sie waren eindeutig kein Rudel. Nein, es schien, als hätten all diese

Weitere Kostenlose Bücher