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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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ihrer Faszination für den älteren Jungen nicht gemerkt.
    Marko war inzwischen ständig krank, hatte sogar Asthma. Er versuchte, aus dem Spiel auszusteigen. Dann also Romotschka. Was würde der tun, wenn Marko starb?
    Dimitri ging schneller. Er rügte sich wegen seiner Verbitterung: Betrachte die Sache mal nüchtern. Von Berufs wegen gereizt, DPP? Klar, man würde sich über ihn lustig machen. Dieser Eifer und diese Blindheit. Marko und Spielzeug. Er errötete. Alles war falsch, dargelegt in schmachvoller Ausführlichkeit. Wenn man darüber nachdachte, war die ganze Sache bedeutender, viel bedeutender.
    Was, wenn tatsächlich zwei kleine Jungen jahrelang bei Hunden gelebt hatten? Keine Haustiere wie bei dem kleinen Andrej Tolstik, nicht wie 1998 bei Iwan Mischukow und seinen Straßenhunden. Nein – bei einem Rudel wild lebender Hunde, wo sie sozial und körperlich selbst die Rolle von Hunden gespielt hatten. Romotschka war für die Nahrungssuche verantwortlich, Marko ein Welpe, den er mit Nahrung versorgen musste. Doch weil sie einander hatten, waren sie Schwellenwesen geworden – sozial und entwicklungsmäßig. Marko konnte nicht sprechen, weil Romotschka im Rudelleben natürlich nie Sprache verwenden würde und Marko mehr als alles andere seinen Platz in jener Welt behalten wollte.
    Doch Romotschka war ein Meister der Verstellung. Unter Menschen ging er fast als gewöhnlicher Junge durch. Vielleicht mit Asperger-Syndrom, leichtem Autismus oder einer Verhaltensstörung mit einer durch Missbrauch hervorgerufenen Hirnschädigung. Im Zentrum war es ihm gelungen, sie alle, Experten auf diesem Gebiet, drei Monate lang zu täuschen. Unter Hunden … tja, das begann Dimitri erst langsam zu ahnen, doch in gewisser Hinsicht musste Markos frühes Verhalten Romotschkas Leben unter Hunden widerspiegeln. Romotschka konnte … hin und her wechseln. Er ging aufrecht und konnte sprechen; sein Leben bei den Hunden hatte also mit Sicherheit erst begonnen, als er schon sprechen konnte und alle sensomotorischen und repräsentatorischen Fertigkeiten sowie die Fähigkeit zum symbolischen Spiel entwickelt waren.
    War das wirklich möglich? Das hieß … was? Inzwischen drei Jahre bei Hunden? Drei Winter. Das war verblüffend, einzigartig. Man könnte fast sagen, der eine war mehr Hund als Junge und der andere mehr Junge als Hund. Ganz zu schweigen von dem Kunststück zu überleben. Zwei!
    Jetzt, da er darüber nachdachte, fand er es aufregend. Er konnte die Studien umschreiben und sie angesichts zusätzlicher Informationen einer gerechten Neubewertung unterziehen. Er würde alles aufschreiben, woran er sich erinnern konnte (und die Tagebücher würden eine äußerst wichtige Rolle spielen: Natalja und er konnten es gemeinsam tun). Er würde die beiden Jungen genau beobachten. Er würde Romotschka in das sorglose Leben im Zentrum locken und ihn eine Weile von den Hunden fernhalten. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er Romotschka noch nie essen sehen – alles, was sie ihm gaben, nahm er entgegen, schnupperte verstohlen daran und steckte es ein. Das Blut pulsierte in Dimitris Adern, während er mit großen Schritten weiterging. Er würde beide wieder in die Gesellschaft eingliedern, und vielleicht konnte er die Zähigkeit und Wiederanpassungsfähigkeit von Kindern mit nur einer einzigen wichtigen Kontaktperson in ihrer frühen Kindheit zeigen, ganz egal, wie auffällig sie waren. Vielleicht besserte sich auch Markos Gesundheitszustand, wenn Romotschka bei ihm lebte. Marko würde sprechen lernen, wenn Romotschka seine geheime Rudeldominanz verlor, da war sich Dimitri ziemlich sicher. Und Romotschka würde sich sensationell wieder in die Gesellschaft eingliedern. Schließlich war auch Iwan Mischukows Wiedereingliederung nach seinem Leben bei Straßenhunden erfolgreich verlaufen.
    Dimitri dachte daran, wie Romotschka ihn einmal geschlagen hatte. Er war auf dem Weg zu Marko an Romotschkas Seite den Krankenhausflur entlanggegangen. Der Junge hatte einmal, dann noch einmal etwas zu ihm gesagt, und Dimitri hatte über seine gebrochene Sprechweise nachgedacht – über die seltsamen Rhythmen und den ungewohnten Klang, die den Zuhörer sogleich in ihren Bann zogen. Romotschka war plötzlich stehengeblieben, und im selben Moment hatte Dimitri einen heftigen Schlag auf seine Hand gespürt und sich umgedreht. Der Junge hatte ein paar Schritte hinter ihm gestanden, sein kleines Gesicht von einer seltsamen, hilflosen Wut verzerrt, seine Augen

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