Dog Boy
die beiden ihm etwas zu fressen zu. Marko liebt das Tier natürlich, aber wir müssen es fortjagen. Schade.
16:30 Uhr. Ich habe wieder gesehen, wie er den Verrückten gespielt und damit den anderen Kindern Angst eingejagt hat. Er schien am Boden zerstört zu sein und hat sich anschließend aus dem Staub gemacht.
Das schreckliche Huhn liegt im Kühlschrank. Ich habe es gewaschen, und es ist wenigstens frisch. Es hat Blutergüsse und hat also wohl noch gelebt, als er es sich angeeignet hat. Ha! Das hätte ich nicht gedacht. Rücksichtsloser kleiner Kerl. Ich werde es mit nach Hause nehmen und heute zum Abendessen zubereiten – und Romotschka morgen ein Hühnersandwich mitbringen. Ich muss erst einmal im Internet nachsehen, wie man ein Huhn rupft und ausnimmt. Ich glaube, man muss es in kochendes Wasser tauchen und dann die Eingeweide am hinteren Ende herausziehen. Uschas! Babuschka weiß, wie das geht, doch die macht sich über mich lustig, wenn ich sie danach frage. Ich muss es anständig herrichten, bevor Dimitri es zu sehen bekommt, sonst mäkelt er wieder herum. Doch ein Geschenk muss man achten, auch wenn ich auf diese Weise Diebesgut annehmen muss – das obendrein auch noch ziemlich eklig ist!
~
Dimitri stand am Fenster seines Büros im vierten Stock und beobachtete, wie der Junge das Gebäude verließ. Hoffentlich führte die Zuneigung, die Romotschka zu Natalja entwickelt hatte, nicht zu Problemen. Die Kinder schwärmten natürlich immer von ihr, aber sie ging professionell damit um. Doch Romotschka schien sie als ein Kind zu betrachten, mit dem sie sich anfreunden konnte, vielleicht weil er kein Insasse war. Sie bemühte sich, dem Jungen zu schmeicheln, und fühlte sich anscheinend von Romotschkas Zuneigung auch selbst ein wenig geschmeichelt. Und das war absolut unprofessionell. Heute war er besonders verärgert, weil er gesehen hatte, wie Romotschkas Augen zornig unter seinem Haar hervorfunkelten, als er, Dimitri, Natalja anblaffte, weil sie Romotschka mit nach oben genommen hatte. Aber wirklich, wie konnte sie bloß so etwas tun? Auch wenn es nicht gegen die Vorschriften verstoßen hätte, wäre es unklug gewesen. Es tat den Kindern nicht gut zu wissen, dass sie vierundzwanzig Stunden am Tag beobachtet wurden. Ganz zu schweigen davon, dass alle künftigen Daten verfälscht wurden, falls Romotschka meinte, er müsse es den anderen erzählen.
Im Gegensatz zu den Kindern, die er bisher kennengelernt hatte, war dieser Junge ein Rätsel. Mit Sicherheit hatte Romotschka irgendeine geistige Schädigung. Dennoch konnte er mit Marko flüssig, wortlos und zuverlässig kommunizieren. Auch war er sehr aufmerksam, freute sich stets über Markos Fortschritte und war froh zu hören, dass er manchmal auf zwei Beinen ging statt auf allen vieren. Marko tat alles, was Romotschka wollte, und anfangs hatte sich Dimitri darüber gefreut.
Doch inzwischen war ihm aufgefallen, dass in Markos Eifer und Geschick noch immer etwas Hündisches steckte, und manchmal fragte er sich skeptisch, ob Romotschka dem Kleinen nicht irgendwelche Kunststücke beibrachte. Manchmal sang Romotschka mit seiner ungeübten und dennoch sehr melodischen Stimme seinem Bruder auch bloß etwas vor – seltsamerweise ausnahmslos ein paar Takte aus italienischen Liedern –, und Dimitri schob seine Zweifel beiseite. Außerdem war es Romotschka, dem es gelang, Marko ein Wort zu entlocken, indem er dem kleinen Bruder immer wieder seinen eigenen Namen vorsprach.
»Romotschka, Romotschka, Romotschka, Romotschka.«
Und dann Markos überraschender Laut, seine einzige menschliche Silbe:
»Rom … Rom …«
Dimitri beobachtete, wie Romotschka unten die Auffahrt entlangschlenderte und dabei seine Keule schwang. Ein knallharter Bursche. Er war ein bomsch und ein Waisenkind und hatte das Alter, in dem man menschliche Zuneigung entwickelt, längst überschritten, und doch baute er eine Beziehung zu ihnen auf. Vielleicht war eine Pflegefamilie doch keine so hoffnungslose Idee. Ihr Ansatz der Nichteinmischung in Romotschkas Leben störte ihn immer noch, besonders als er die wachsende Zuneigung des Jungen zuNatalja bemerkte, die sich auch selbst in ihren Ansichten nicht mehr ganz sicher zu sein schien. Es ist sogar gut möglich, dachte er mit einem bitteren Lächeln, dass sie bestreiten würde, diese Ansichten je vertreten zu haben.
Es bestand kein Zweifel, dass die beiden Brüder sich liebten, doch Dimitri hegte allmählich den Verdacht, dass Romotschkas
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