Dogma
steckte er seine Pistole wieder ein und richtete seine Aufmerksamkeit ganz auf die Straße. An der nächsten Kurve bremste er ab und hielt bei einer Gruppe Pinien am Straßenrand.
Er parkte im Schutz der Bäume, dann zog er den Zündschlüssel ab. «Warte hier», sagte er zu ihr.
Sie sah zu, wie er sich ein paar Schritte vom Wagen entfernte. Dort, wo die Baumgruppe endete, blieb er stehen und blickte zum Himmel auf, in Richtung des Berges.
Zahed suchte den Himmel nach dem dunklen Punkt ab, der seinen Verdacht bestätigen würde.
Sie war gut, das musste er ihr lassen. Wie sie die Wahrheit leicht abänderte, um sich einen gewissen Vorteil zu erhalten. Aber das hier war sein Spezialgebiet, nicht ihres. Und wenn er bedachte, was diese Aktion erforderte und unter welchem Zeitdruck sie stand – und was realistischerweise so kurzfristig verfügbar war –, war ihm klar, dass sie höchstwahrscheinlich keinen Satelliten eingesetzt hatten, sondern ein unbemanntes Luftfahrzeug, eine Drohne.
Tatsächlich, schon bald entdeckte er sie, einen winzigen Punkt, der hoch am wolkenlosen Morgenhimmel schwebte und seine Bewegungen verfolgte. Die Drohne kreiste in großer Höhe, aber da sie die Tragflächenspannweite einer 737 hatte, war sie dennoch nicht gerade unsichtbar. Stirnrunzelnd beobachtete Zahed ihre Flugbahn. Dieser Überwachung zu entkommen würde ausgesprochen knifflig werden, erst recht mit einer Gefangenen im Schlepptau.
Dann sah er etwas Unerwartetes. Die Drohne zog einen weiten Bogen und glitt davon in Richtung Osten, wieder auf den Berg zu. Zaheds Blick folgte ihr, bis sie nicht mehr zu sehen war, dann suchte er den Himmel nach einem weiteren Punkt ab.
Er konnte keinen entdecken.
Zahed lächelte in sich hinein. Die Drohne musste ihre maximale Verweildauer erreicht haben, und anscheinend hatte der Feind nicht damit gerechnet, eine Ablösung zu brauchen, um die Überwachung fortzusetzen. Er blieb noch zehn Minuten lang im Schutz der Bäume stehen und beobachtete den Himmel, um sich zu vergewissern, dass kein weiterer Flugkörper auftauchte. Nachdem er überzeugt war, dass keiner mehr kam, zog er sein Handy hervor und drückte zweimal die Wähltaste, um die zuletzt angerufene Nummer aufzurufen. Es war eine Nummer, die er aus Sullys Handy hatte.
Nach dem zweiten Rufzeichen meldete sich eine verschlafene Stimme.
Zaheds Ton wurde ganz leutselig. «Abdülkerim? Guten Morgen. Hier ist Ali Sharafi, Suleymans Klient. Wir haben gestern Abend miteinander gesprochen?»
Der Mann, den er angerufen hatte – Abdülkerim, Sullys Onkel, der Ortskundige, mit dem der Bergführer hatte sprechen wollen, als sie oben bei der Klosterruine waren –, hatte noch geschlafen. Nach kurzem Schweigen schienen Zaheds Worte zu ihm durchzudringen. «Ja, guten Morgen», rief der Mann dem Iraner ins Ohr. Dann verstummte er wieder, offenbar überrumpelt von dem frühen Anruf und noch etwas verwirrt.
«Entschuldigen Sie, dass ich so früh schon anrufe», fuhr Zahed fort, «aber wir haben unsere Pläne geändert und sind eher angekommen als erwartet. Und da dachte ich, ob wir uns wohl etwas früher als vereinbart treffen könnten? Vielleicht schon in der nächsten Stunde? Um zeitig aufzubrechen, wissen Sie – leider haben wir hier nur wenig Zeit zur Verfügung. Je eher wir anfangen, umso besser.»
Abdülkerim räusperte sich hörbar. «Natürlich, natürlich. Kein Problem. Früher ist sowieso besser. Da ist weniger Sonne.»
«Hervorragend», sagte Zahed. «Dann sehen wir uns gleich. Und danke für Ihr Entgegenkommen.»
Nachdem Ort und Zeitpunkt des Treffens vereinbart waren, beendete er das Gespräch, zufrieden mit dem Ergebnis. Dann ging er zum Wagen und spähte durch die Heckscheibe. Er sah die Silhouette von Tess’ Kopf. Seine Stimmung verdüsterte sich. Es gab da noch etwas, das er zu erledigen hatte.
Er öffnete die Heckklappe des Discovery, nahm etwas heraus und schlug die Klappe wieder zu. Dann ging er zur Beifahrertür und riss sie auf.
«Aussteigen», befahl er Tess.
Sie starrte ihn einen Moment lang verwirrt an, dann stieg sie aus dem Wagen und blieb schweigend vor ihm stehen. Er sah sie nur wortlos an – dann holte er blitzschnell aus und schlug ihr heftig mit dem Handrücken ins Gesicht.
Der Schlag riss ihren Kopf zur Seite, und sie stürzte zu Boden. Dort verharrte sie einen Moment lang reglos, mit abgewandtem Gesicht. Dann rappelte sie sich auf, klopfte sich den Staub von den Händen und wandte sich ihm wieder zu.
Weitere Kostenlose Bücher