Dogma
Hindernisse wie Flüsse oder Berge zu überwinden gab. Da sein Pferd nicht gerade ein Vollblut war, entschied Reilly, dass er diese Möglichkeit der Abkürzung nicht ungenutzt lassen konnte.
Er steckte die Karte ein, nickte und winkte dem alten Mann zum Abschied zu und trieb das Pferd an, von der Straße weg auf ein großes freies Feld. Er konnte nur hoffen, dass das arme Tier nicht den Geist aufgab, ehe er sein Ziel erreichte.
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Kapitel Fünfunddreißig
Kilometer um Kilometer fuhr der Discovery mit hoher Geschwindigkeit über die gewundene, mit Schlaglöchern übersäte Straße in Richtung Süden. Die karge Landschaft verstärkte noch die Taubheit, die Tess empfand, eine körperliche und seelische Taubheit, nur durchdrungen von den schmerzlichen Fragen, die unbeantwortet blieben.
Sie sah ihren Entführer von der Seite an. Er spürte ihren Blick und erwiderte ihn kurz.
«Wir müssten in etwa zehn Minuten dort sein», teilte er ihr mit und erklärte ihr die Geschichte, die sie dem alten Mann zur Tarnung erzählen würden – dieselbe, die er auch Sully aufgetischt hatte: Er war ein Universitätsprofessor namens Ali Sharafi.
Tess biss die Zähne zusammen, als sie hörte, wie beiläufig er den Namen des toten iranischen Historikers aussprach. «Sie schrecken vor nichts zurück», sagte sie. «Seinen Namen so zu missbrauchen. Nach dem, was Sie ihm angetan haben.»
Das war keine Frage, und er ging nicht darauf ein.
«Warum bin ich eigentlich hier?», wollte sie wissen. «Wozu brauchen Sie mich? Die Türken werden nicht mit Ihnen verhandeln, nur weil Sie mich in Ihrer Gewalt haben. Nicht nach allem, was Sie angerichtet haben.»
Er zuckte die Schultern. «Du bist nicht als Geisel hier, Tess. Du bist hier als Archäologin. Ich kann das nicht allein durchziehen. Und nachdem ich mich von deinem lieben Freund Jed trennen musste, brauche ich dich an seiner Stelle.»
Tess wusste nicht recht, wie sie das verstehen sollte – ob Simmons jetzt in Sicherheit war oder nicht. Nach den Vorfällen in Rom bezweifelte sie es allerdings. Bei dem Gedanken daran kam ihr die Galle hoch. «Und was genau können Sie nicht allein durchziehen?»
Er warf ihr einen belustigten Seitenblick zu. «Ich bitte dich, Tess. Du hast die Beichte des Mönchs gelesen. Du hast die Worte gesehen, mit denen er diesen …
Schatz
beschrieben hat. Diese Mönche, diese friedlichen, frommen Diener Gottes – die haben tatsächlich Morde auf ihr Gewissen geladen, um das Geheimnis zu wahren. Also sag mir, Tess … Was denkst du wohl, worauf ich aus bin?»
Es hatte keinen Sinn, sich ahnungslos zu stellen. «Das ‹Werk des Teufels›? Etwas, das den Fels erschüttern kann, ‹auf dem unsere Welt gründet›?»
Er lächelte. «Das ist es wohl wert, gefunden zu werden, meinst du nicht?»
«Nicht mit solchen Mitteln», entgegnete sie schroff. «Wer sind Sie? Was haben Sie damit vor?»
Er blickte fest geradeaus. «Mein Land und deins … Wir führen seit über fünfzig Jahren einen schmutzigen, nie erklärten Krieg. Ich bin nichts weiter als ein Patriot, der seiner Seite zum Sieg verhelfen will.»
«Ihre Seite ist der Iran», stellte sie fest.
Er warf ihr einen Seitenblick zu und lächelte geheimnisvoll.
«Wir führen keinen Krieg gegen Ihr Land», wandte sie ein. «Und wir sind auch nicht die Ursache Ihrer Probleme, wie auch immer die aussehen mögen.»
Er zog skeptisch eine Augenbraue hoch. «Ach nein?»
«He, nicht wir sind es, die Terroristen unterstützen und drohen, andere Nationen vom Angesicht der Erde zu tilgen.»
Ihre Worte schienen ihn völlig ungerührt zu lassen. Er fragte nur mit kühler Stimme: «Weißt du etwas über Operation Ajax, Tess?»
Sie hatte den Begriff noch nie gehört. «Nein.»
«Das dachte ich mir. Siehst du, das ist ein Teil eures Problems. Ihr habt keinen Geschichtssinn. Ihr habt nichts weiter im Kopf als Twitter und Facebook und wen Tiger Woods gerade flachlegt. Aber wenn es um Größeres geht, um Kriege, die Tausende Menschenleben kosten und Millionen die Lebensgrundlage zerstören, macht ihr euch nicht die Mühe, hinter die Schlagzeilen zu schauen. Ihr nehmt euch nicht die Zeit, über das Warum nachzulesen und hinter dem Gerede eurer Politiker oder der Hysterie eurer Massenmedien nach den Gründen zu suchen.»
Tess schnaubte. «Na großartig. Ich muss mich hier über die Feinheiten der Geschichte und die großen Fehlschläge unserer Demokratie belehren lassen von einem Mann, der nur so zur
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