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Dogma

Dogma

Titel: Dogma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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nicht zwingen, all ihre bisherigen Rituale und Überzeugungen, für die sie ihr Leben gegeben hätten, plötzlich fallenzulassen. Sogar der Kaiser selbst, das wusste Hosius, hegte noch immer Zweifel und scheute sich im tiefsten Inneren, die Götter seiner Vergangenheit zu beleidigen.
    Hosius erkannte noch eine weitere Gefahr in dem, was sich anbahnte. Die Kirche hatte praktisch bereits ihren Segen dazu gegeben, dass Konstantin die Stellung von Jesus Christus als Messias einnahm. Der Kaiser, nicht mehr Christus, war jetzt der Gottgesandte. Er war der Kriegerkönig mit dem Segen Gottes, der Mann, der mit dem Schwert vermochte, was Christus mit Worten nicht gelungen war. Er war das krasse Gegenteil des friedliebenden, sanftmütigen Erlösers, und dennoch wurde er von sämtlichen Priestern, Diakonen und Bischöfen in seinem Reich unterstützt.
    Das war gefährlich, allerdings.
    Aber wenn die Kirche überleben sollte, brauchte sie einen Verfechter.
    Konstantin hatte sich zum Glauben bekehrt, den Verfolgungen ein Ende gemacht und das Christentum zur offiziell anerkannten Religion im erstmals geeinten Kaiserreich erhoben. Er würde ein neues goldenes Zeitalter einleiten. Und als Teil dieses Plans machte er aus der alten Stadt Byzantium seine neue Hauptstadt, sein Neues Rom. Eine Hauptstadt mit breiten Alleen, herrschaftlichen Palästen und prächtigen Gebäuden. Gebäuden wie der neuen Kaiserlichen Bibliothek, in der ein Heer von Kalligraphen und Bibliothekaren daran arbeitete, antike Texte von den brüchigen Papyrusseiten, auf denen sie geschrieben waren, auf haltbareres Pergament zu kopieren und so die Flamme des Wissens am Leben zu erhalten.
    Und diese Bibliothek sollte noch etwas anderes am Leben erhalten. Etwas, von dem Hosius den innigen Drang verspürte, es zu bewahren.
    Er sah zu, wie seine Akolythen die dritte Truhe auf den Wagen hoben und mit Leinwandplane abdeckten. Seine Anspannung wuchs. Bald würden sie aufbrechen, im Schutz der Nacht, nur mit ein paar Wachen als Begleitern.
    Er hoffte, sein Verrat würde nie entdeckt werden. Aber selbst wenn – er war bereit zu sterben, um sein Geheimnis zu wahren.
    Er konnte sie nicht verbrennen.
    Auch wenn sie eine Gefahr für die Orthodoxie darstellten. Auch wenn sie gefährliche Fragen aufwarfen.
    Sie mussten erhalten bleiben. Sie mussten geschützt werden.
    Sie waren heilig.
    Und wenn nicht jetzt, wenn nicht zu seinen Lebzeiten oder zu Lebzeiten der Nachkommen über viele Generationen – irgendwann würde eine Zeit kommen, in der sie ganz offen gelesen und studiert werden würden. Eine Zeit, in der sie das Verständnis der Menschen von ihrer Vergangenheit bereichern würden.
    Dafür würde er sorgen.

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel Einundfünfzig
    «Hosius beschließt also, dass die Schriften nicht vernichtet werden sollen, und versteckt sie irgendwo, wo sie sicher sind. Und wie sind sie dann in die Hände der Templer geraten?»
    «Ich weiß es nicht.» Tess’ Gedanken liefen in viele Richtungen gleichzeitig. «Aber irgendwie sind die Templer, die als Erste in das Kloster kamen, Everard und seine Leute –»
    «Diejenigen, die von den Mönchen vergiftet wurden», warf Reilly ein.
    «Ja, irgendwie sind sie in den Besitz dieser Schriften gelangt.» Irgendwo in dem Labyrinth flammte ein Leuchtfeuer auf, das sie anzog. «Das war im Jahre 1203. Kurz vor dem Fall von Konstantinopel», sagte sie zu Reilly, und ihre Augen leuchteten vor Aufregung über die Verbindung, die sie soeben gezogen hatte. «Was, wenn sie die ganze Zeit dort versteckt waren? In Konstantinopel? Und die Männer, die sie in Hosius’ Nachfolge hüteten, haben sie in Sicherheit bringen lassen, bevor die Stadt von den Kreuzrittern eingenommen wurde?»
    «Von den Kreuzrittern – also von der Armee des Papstes.»
    Tess überlief ein Prickeln. «Die Armee des Papstes hat die Stadt belagert. Sie hatten gerade erst Zadar geplündert und gebrandschatzt, eine katholische Stadt. Die Bevölkerung von Konstantinopel hatte noch Schlimmeres zu erwarten, immerhin war es die Hauptstadt des orthodoxen Christentums. Die orthodoxen Patriarchen und die Päpste hatten einander während der letzten paar hundert Jahre laufend gegenseitig beleidigt und exkommuniziert. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um vorherzusehen, was die Kreuzritter den Menschen dort antun würden, wenn sie erst einmal in die Stadt eingedrungen waren. Ganz gleich, ob der Papst wusste, dass sich die Schriften dort befanden – sie waren in jedem

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