Dogma
diverse Barbarenstämme ansässig, von den Alamannen bis zu den Pikten und Visigoten. Er musste eine Möglichkeit finden, sie alle zu einen.
Eine gemeinsame Religion wäre ein gewaltiger Schritt in diese Richtung.
Und diese Religion, das wusste er, war das Christentum. Wie er selbst festgestellt hatte, war nicht einmal er immun dagegen.
Er dachte an die Schlacht an der Milvischen Brücke vor mehr als einem Jahrzehnt zurück, als seine Armee die seines Schwagers, des Kaisers Maxentius, geschlagen hatte. Vor der großen Schlacht hatte er etwas am Himmel gesehen, dessen war er sich sicher. Ein Zeichen. Das
Chi-Rho,
ein Monogramm aus zwei übereinandergelegten griechischen Buchstaben – den ersten beiden Buchstaben des Wortes
Christus.
In der folgenden Nacht hatte er von seinem Sieg geträumt und hatte eine Vision von einem Mann gehabt – war es Christus selbst? –, der ihm sagte, er solle unter diesem Zeichen gegen seine Feinde ziehen. Er hatte daraufhin das Christusmonogramm auf die Standarten seiner Krieger malen lassen und war mit einem überwältigenden Sieg gesegnet worden, durch den er die Hälfte des Reiches gewann, nach dem er strebte.
Seitdem hatte das Zeichen ihm immer neue Siege beschert.
Konstantin verstand sich auf Macht, aber er verstand auch die Macht des Mythos. Religiöse Einflüsse hatten sein Leben geprägt, denn er war unter heidnischen und christlichen Denkern in Nikomedeia aufgewachsen, im Östlichen Reich. Wie alle seinesgleichen befragte er Orakel und glaubte daran, dass religiöse Frömmigkeit belohnt werde. Nach jener schicksalhaften Schlacht und bei seinen späteren Feldzügen hatte Konstantin immer behauptet, eine göttliche Hand habe ihm zu seinen Siegen verholfen. Inspiriert von antiken Schriften, begann er sich mit der Zeit selbst als Messias zu sehen – ein Kriegerkönig, von Gott dazu eingesetzt, das Volk zu beherrschen, das er geeint hatte, und es in ein goldenes Zeitalter von Frieden und Wohlstand zu führen.
In hoc signo vinces.
Genau, das war es. «In diesem Zeichen wirst du siegen.» Aber die Macht dieser Botschaft half ihm nicht nur, seine Feinde zu besiegen; sie half ihm ebenso, die Herzen und Köpfe des Volkes zu erobern. Dazu war sie ideal.
«Wir müssen diesen Glauben schützen, Hosius», sagte er zu dem Bischof. «Wir müssen über ihn wachen und alles, was ihm gefährlich werden könnte, im Keim ersticken. Denn dieser Glaube ist wahrhaft göttlich inspiriert.» Er ging im Raum auf und ab, und sein Gesicht und seine Gesten zeigten seine Begeisterung. «Er ist für alle offen, und es ist leicht, ihm beizutreten. Die Bekehrten brauchen nicht ihr Leben umzukrempeln, um dazuzugehören. Sie müssen weder enthaltsam leben noch sich Gedanken darum machen, was sie essen dürfen und was nicht, noch Teile ihrer Männlichkeit abschneiden, um in die Glaubensgemeinschaft aufgenommen zu werden. Und die Organisation … die Rangordnung innerhalb des Klerus, die Kirchen, die Disziplin, all das ist hervorragend geeignet, Bekehrte anzuziehen und Ordnung unter den Gläubigen zu stiften. Aber vor allem liegt die göttliche Inspiration in der Botschaft selbst.» Er lächelte seinem Besucher zu, ein Lächeln tiefer Befriedigung. «Gut und Böse, Himmel und Hölle, ewiges Paradies und ewige Verdammnis? Belohnung in einem anderen Leben, um jenen Hoffnung zu geben, die in diesem Leben nichts haben, und sie davon abzuhalten, sich aufzulehnen? Sünde und die Pflicht, Versuchungen zu widerstehen – und all das gelehrt von Menschen mit göttlichem Auftrag und jedem Kind von Geburt an ins Gewissen eingebrannt?» Er kicherte. «Das ist so brillant erdacht und von so durchschlagender Wirkung, dass es nur das Ergebnis göttlicher Eingebung sein kann. Ich meine, stell dir vor … diese Menschen dort draußen, diese Christen … Meine Vorgänger und meine Rivalen haben Jagd auf sie gemacht und sie getötet, wie sie vor dreihundert Jahren Jesus getötet haben. Man hat sie verfolgt, erniedrigt, in Fesseln gelegt und bespuckt und in Verliesen vermodern lassen, weil sie sich geweigert haben, unsere heidnischen Götter zu verehren und die vorgeschriebenen Opfer zu bringen. An allem hat man ihnen die Schuld gegeben, von Hungersnöten bis hin zu Überschwemmungen, ihre Frauen wurden vergewaltigt und ihr Besitz beschlagnahmt … und dennoch halten sie unerschütterlich an ihrem Glauben fest.» Der Kaiser schwieg ergriffen, staunend über das Konzept, das er selbst gerade beschrieb. «Das ist Macht.
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