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Dogma

Dogma

Titel: Dogma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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seinem obersten Theologen und geistlichen Berater gemacht.
    Seither hatten die beiden viel gemeinsam durchlebt.
    «Diese Dispute», sagte Konstantin. «Arius, Athanasius, Sabellius und die Übrigen alle mit ihren kleinlichen Streitigkeiten … War Christus göttlich, oder war er ein Wesen der Schöpfung? Sind Vater und Sohn von einer Substanz oder nicht? War Jesus der Sohn Gottes oder nicht?» Er schüttelte den Kopf, verärgert über die Berichte – er hatte sie nicht mit eigenen Augen gesehen – von Mosaiken in arianischen Kirchen, in denen Jesus Christus als Mann in reifem Alter dargestellt wurde, mit weißem Haar und allem. «Weißt du, was das eigentliche Problem ist? Diese Männer haben zu viel Zeit», sagte er mit beherrschtem Zorn in der Stimme. «Sie begreifen nicht, dass die Fragen, die sie immer wieder stellen, nicht nur nicht zu beantworten, sondern sogar gefährlich sind. Darum mussten sie aufgehalten werden, ehe sie alles zunichtemachen konnten.»
    Konstantin verstand sich auf Macht.
    Er hatte bereits erreicht, was noch keinem Kaiser gelungen war: Er hatte das Reich geeint. Bevor er den Thron bestieg, war das Römische Reich in Ost- und Westteil geteilt gewesen, die jeweils von einem eigenen Kaiser regiert wurden. Verrat und Territorialkriege waren an der Tagesordnung. Konstantin hatte all das geändert. Er stieg durch politisches Geschick und eine Reihe militärischer Glanzleistungen zur Macht auf, setzte sich gegen beide Kaiser durch und erklärte sich im Jahre 324 selbst zum alleinigen Kaiser von Ost und West.
    Sein Volk jedoch war noch immer geteilt.
    Neben der Spaltung in Ost und West hatte er erhebliche religiöse Spannungen zu überbrücken: zwischen Heiden und Christen und, was noch größere Probleme bereitete, zwischen Christen und Christen. Denn es gab viele unterschiedliche Auslegungen des Vermächtnisses jenes Predigers, den sie Jesus Christus nannten, und die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen von Bekehrten nahmen gewalttätige Formen an. Man beschuldigte sich gegenseitig der Häresie, und es kam zu immer grausameren Folterungen. Ein Opfer, Thomas, der Bischof von Maraş, bot einen besonders schaurigen Anblick. Ihm waren die Augen ausgestochen und Nase und Lippen abgeschnitten, die Zähne herausgebrochen und Arme und Beine abgehackt worden. Er war mehr als zwanzig Jahre lang von seinen christlichen Folterern in Armenien gefangen gehalten worden und hatte zu jedem Jahrestag seiner Einkerkerung eine neue Verstümmelung erlitten.
    Das musste ein Ende haben.
    Konstantin hatte sämtliche Bischöfe und Kirchenältesten aus dem gesamten Reich zum ersten Generalkonzil der Kirche zusammengerufen. Mehr als dreihundert Prälaten, begleitet von einer noch größeren Zahl Priester, Diakone und Presbyter, waren dem Ruf seiner gebieterisch formulierten Sendschreiben gefolgt. Nur der Bischof von Rom, Papst Silvester I., blieb fern. Er ließ sich durch zwei seiner obersten Legaten vertreten. Konstantin störte sich nicht an dessen Abwesenheit. Der Kaiser hatte genug mit der Machtstellung der Bischöfe aus dem Osten zu tun. Ihm war es sehr recht, dem Konzil persönlich vorzustehen und die kirchlichen Würdenträger mit einem Wink seines großen Stabes dazu zu bringen, sich hinzusetzen, ihre Debatten zu führen, darüber zu streiten, wer und was Christus tatsächlich war und was er getan hatte, sich in Auseinandersetzungen darum zu verstricken, wie sie die Autorität über sein reichliches Erbe untereinander aufteilen wollten – und sich zu einigen.
    In allen Punkten.
    Konstantin war seit langem bewusst, dass der Zulauf zum christlichen Glauben nicht aufzuhalten war. Seine Mutter war eine eifrige Christin. Zwanzig Jahre zuvor hatte er die große Verfolgungswelle unter Diokletian miterlebt, als auf Befehl des Kaisers Kirchen im ganzen Reich zerstört, ihre Schätze geplündert, ihre heiligen Schriften verbrannt wurden – all das auf den Rat des Apollon-Orakels –, und er hatte gesehen, wie die Verfolgung gescheitert war. Er hatte erlebt, welchen Reiz die Hoffnungsbotschaft des Christentums auf das Volk ausübte und die Tatsache, dass diese Religion niemanden ausschloss, und wie sie sich im gesamten Reich ausbreitete. Er wusste, indem er sich selbst als großen Verteidiger des Glaubens darstellte, statt als gewissenloser Verfolger in die Fußstapfen seiner Vorgänger zu treten, würde er viele Anhänger gewinnen. Außerdem waren in den fernen Ländern, die er erobert hatte,

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