Dogma
Ritter Conrad und seine Templerbrüder haben unser Schicksal besiegelt. Sie ziehen jetzt gen Korykos und von dort nach unbekannten Gestaden, beladen mit dem Werk des Teufels, von seiner Hand geschrieben mit Gift aus den Abgründen der Hölle. Seine verfluchte Existenz ist eine verheerende Gefahr für den Fels, auf dem unsere Welt gründet. Ich erkühne mich nicht, Vergebung oder Gnade für unser Versagen zu erflehen. Alles, was ich tun kann, ist, unseren himmlischen Vater mit einer schlichten Handlung der Bürde zu entledigen, für unsere elenden Seelen zu sorgen.
Er las die Seiten noch einmal mit müden, tränenden Augen durch, dann legte er den Federkiel daneben ab. Erst jetzt wagte er es, zu den umstehenden Mönchen aufzublicken. Sie starrten ihn schweigend an, die Gesichter ausgemergelter und bleicher denn je, und ihre Finger und Lippen zitterten.
Vor jedem stand ein schlichter irdener Becher.
Der Abt sah in die Runde, blickte jedem Einzelnen mit einem verlorenen Ausdruck in die Augen. Dann nickte er und hob seinen Becher an die Lippen.
Die anderen folgten seinem Beispiel.
Er nickte noch einmal.
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Kapitel Dreizehn
Vatikan – heute
Das Schweigen lastete schwer über dem Raum.
Tess blickte in die Runde, musterte die Gesichter und fragte sich, ob sie fortfahren sollte. Kardinal Brugnone und der Präfekt der Archive, Monsignor Bescondi, schienen besonders betroffen von ihrem Bericht. Verständlicherweise, schließlich musste es für Kirchenmänner wie sie eine ungeheuerliche Vorstellung sein, dass Mönche – nicht Mönchskrieger wie die Templer, sondern friedliche, innig fromme Männer, die sich aus der menschlichen Gemeinschaft zurückgezogen hatten, um ihr Leben dem Gebet und dem Studium der heiligen Schriften zu widmen –, dass solche Mönche sich des Mordes schuldig machten, ganz gleich, aus welchem Grund.
Auch Reilly schien verwirrt über das Geständnis des Mönchs. «Die ersten Templer hatten also etwas bei sich, wofür die Mönche bereit waren, sie zu töten? Und dann, hundert Jahre später, kamen drei Templer auf die Spur ihrer Ordensbrüder, sind in dem Kloster aufgetaucht und haben ihr Eigentum zurückgefordert, worüber die Mönche so erschüttert waren, dass sie sich umgebracht haben?»
«So steht es in dem Brief des Abtes», bestätigte Tess.
«Der Betrüger, der mit Reilly hierhergekommen ist», warf Tilden ein, «wer war das?»
«Ich weiß es nicht», erwiderte sie. «Sharafi wusste es auch nicht. Verstehen Sie, nachdem Sharafi die Beichte gefunden hatte, ließ ihn die Sache nicht mehr los. Ihm war klar, dass er auf etwas Großes gestoßen war, und er stellte Nachforschungen an. Gleichzeitig war ihm das Ganze unheimlich, zutiefst unheimlich. Ich meine, denken Sie nur daran, was der Mönch geschrieben hat: ‹Das Werk des Teufels, von seiner Hand geschrieben mit Gift aus den Abgründen der Hölle. Seine verfluchte Existenz ist eine verheerende Gefahr für den Fels, auf dem unsere Welt gründet.› Vielleicht war es etwas, das niemals gefunden werden sollte. Doch Sharafi konnte nicht widerstehen, auch wenn er wusste, dass er sehr behutsam vorgehen musste. Ihm war klar, dass die Sache gefährlich werden könnte. Und in den falschen Händen womöglich noch gefährlicher. Deshalb hat er den Brief heimlich aus dem Archiv mitgenommen – im Klartext: gestohlen – und hat in seiner Freizeit in aller Stille daran geforscht. Er wollte unbedingt herausbekommen, was aus diesen Templern wurde und was es eigentlich war, das sie da bei sich gehabt hatten. Auf der Suche nach weiteren Hinweisen verbrachte er viel Zeit in der Bibliothek. Der reisende Sufi hatte nichts über den Beichtbrief geschrieben, den er in seinem Tagebuch versteckt hatte; keinen Hinweis darauf, wo er ihn gefunden oder was er nach dem Fund damit angefangen hatte. Sharafi dachte sich, der Mann müsse darüber ebenso verstört gewesen sein wie er selbst. Aber das Tagebuch des Sufis schilderte seine Reisen in dem Gebiet, das war immerhin ein Ansatz, auch wenn Sharafi klar war, dass viele der Ortsnamen und Orientierungspunkte in der Landschaft, von denen der Reisende schrieb, sich über die Jahrhunderte sehr verändert hatten. Sharafi reiste also in die Gegend, durch die der Sufi gezogen war. Er fragte herum in dem Gebiet um den Mons Argaeus, der heute auch anders heißt, und versuchte, die Ruine des Klosters ausfindig zu machen. Außerdem studierte er alles Material zu den Templern, das er auftreiben
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