Dogma
Spur – kein Wunder. Nachdem der König von Zypern sie ins Exil geschickt hatte, konnten Conrad und seine Gefährten ja nicht in ihre Heimatländer zurückkehren, wo sie Gefahr liefen, den Inquisitoren in die Hände zu fallen. Jed hielt es für das Wahrscheinlichste, dass sie inkognito in großen Städten wie Antiochia und Konstantinopel gelebt haben. Und damit waren sie von der Bildfläche verschwunden. An dem Punkt ist Sharafi dann zusammengebrochen und hat uns erzählt, was wirklich vor sich ging. Und Jed – nun, er fand, er müsse alles tun, um dem Mann zu helfen. Wir beide fanden das. Schließlich ging es nicht um bloße akademische Forschungen. Sharafis Erpresser würde sich nicht damit abfinden, keine Ergebnisse zu bekommen. Sharafi hatte furchtbare Angst, der Mann könnte seiner Frau oder seiner Tochter etwas antun. Wir mussten also etwas finden. Und als Jed mit seinen eigenen Aufzeichnungen nicht weiterkam, erzählte er uns von dem Registrarium. Er wusste, dass es existierte, irgendwo in den Tiefen der vatikanischen Archive verborgen – aber er wusste auch, dass niemand es zu sehen bekam.»
Tess hielt inne und hoffte, jemand würde darauf eingehen.
Reilly tat es. Er wandte sich an Brugnone. «Ist das wahr?»
Brugnone zuckte stirnrunzelnd die Schultern, dann nickte er. «Ja.»
«Warum?», bohrte Reilly nach.
Brugnone warf einen verstohlenen Blick zu Tess, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Reilly. «Unsere Archive sind voller sensibler Dokumente. Viele davon könnten von skrupellosen Leuten, die Skandale schüren wollen, falsch interpretiert und gegen die Kirche verwendet werden. Wir versuchen, das einzuschränken.»
«Und dieses Registrarium?»
Brugnone sah Bescondi an, woraufhin der das Wort ergriff. «Es handelt sich um einen vollständigen Bericht über die Verhaftung der Templer und die Zerschlagung des Ordens. Alles, was die Inquisitoren herausfanden, jeder, mit dem sie gesprochen haben, findet sich darin verzeichnet. Die Namen der Ordensmitglieder, vom Großmeister bis zum niedersten Knappen, was aus ihnen wurde, wer was gesagt hat, wer überlebt hat und wer gestorben ist … Die Besitztümer der Templer, ihre Burgen in ganz Europa und in der Levante, ihr Viehbesitz, der Bestand ihrer Bibliotheken … alles.»
Reilly dachte kurz nach. «Simmons hatte also recht: Wenn es irgendwelche Hinweise darauf gäbe, was aus Conrad geworden ist, müssten sie dort zu finden sein.»
«Ja», bestätigte Bescondi.
Reilly bemerkte, wie Bescondi dem Kardinal einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. Die beiden schienen sich wortlos zu verständigen, denn der Kardinal erwiderte den Blick des Archivars mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfnicken, das der Archivar wiederum bestätigte.
Reilly wandte sich an Tess. «Und … dann hast du mich angerufen.»
Tess schüttelte zerknirscht den Kopf. «Es tut mir ja so leid. Es ist nur – ich wusste außer dir niemanden, der Sharafi dort hätte einschleusen können, damit er sich die Aufzeichnungen ansehen kann. Aber ich habe mir die Entscheidung, dich darum zu bitten, wirklich nicht leichtgemacht. Vor allem, nachdem wir ja …» Sie verstummte und sah Reilly lange schweigend an. Schließlich brauchten die anderen nichts von ihren privaten Problemen zu wissen. «Ich habe das vorher mit Jed besprochen. Ich wusste nicht recht, ich habe noch überlegt … Und dann taucht plötzlich dieser Kerl vor Jeds Büro auf, zwingt uns mit vorgehaltener Pistole, in den Laderaum seines Lieferwagens zu steigen, und fährt mit uns in irgendeine Bruchbude, ich weiß nicht wo. Er sperrt mich und Jed in diesen Raum, es muss eine Art Keller gewesen sein, und fesselt uns an Händen und Füßen mit Plastikhandschellen. Sharafi war schon dort, auch gefesselt. Mir standen lauter entsetzliche Bilder vor Augen, der Kopf der Lehrerin oder Geiseln in Beirut und im Irak.» Tess schauderte. Beim Erzählen durchlebte sie den ganzen Albtraum erneut. Sie sah Reilly an. «Er hat mich gezwungen, dich anzurufen.»
«Woher wusste er von alldem?», fragte Reilly. «Hast du sonst mit irgendjemandem darüber gesprochen?»
«Nein, natürlich nicht. Vielleicht hat er die Gespräche zwischen Jed und mir mitgehört, vielleicht hatte er in Jeds Büro eine Wanze angebracht oder so.»
Reilly dachte kurz nach. «Dieser Kerl, wer auch immer er ist und für wen auch immer er arbeitet – und ich glaube, was das betrifft, haben wir einige Anhaltspunkte, über die wir nachdenken sollten –, er hat
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