Dogma
dahinter wieder hangabwärts führte, standen zu beiden Seiten parkende Autos. Dazwischen blieb Platz nur für eine einzige Fahrspur, und auf dieser kam der Verkehr jetzt zum Stillstand. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Autofahrer ungeduldig zu hupen begannen. Reilly, frustriert über die Verzögerung, lehnte sich zur Seite, um besser sehen zu können. Etwa ein Dutzend Autos weiter vorn hatte sich am Zufahrtstor zum Patriarchat eine kleine Menschenmenge versammelt. Die Leute wirkten aufgeregt, spähten durch das Torgitter und zeigten mit den Fingern auf etwas, das sich auf dem Gelände befinden musste. Auch ein kleiner Reisebus und ein Taxi mit Besuchern steckten mit im Stau, die Fahrer waren ausgestiegen und schauten in dieselbe Richtung.
Reilly folgte ihren Blicken und erkannte den Grund der Aufregung: Aus der hinteren Ecke eines der Gebäude wölkte schwarzer Rauch.
Und dann sah er noch etwas.
Eine einzelne Gestalt, die das Gelände verließ. Der Mann hatte kurzes, dunkles Haar und trug eine schwarze Priesterrobe. Er ging gelassenen Schrittes, vielleicht ein wenig eilig, aber nicht so, dass er aufgefallen wäre.
Reilly schoss das Blut in die Schläfen.
«Das ist er», rief er, beugte sich über die Sitzlehne und zeigte nach vorn. «Der Priester da. Das ist unser Mann. Da vorn, das ist der Hurensohn.»
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Kapitel Neunzehn
Alle sechs Insassen des Geländewagens wurden mit einem Schlag hektisch und starrten gebannt zu der wachsenden Menschenmenge vor dem Eingangstor des Patriarchensitzes.
«Wo?», fragte Ertugrul und reckte den Hals. «Wo ist er?»
«Da vorn.» Reilly war halb aufgestanden und beugte sich weit über die Schulter des Rechtsattachés nach vorn. Er strengte sich an, die Zielperson nicht aus den Augen zu verlieren, aber der Mann in der Priesterrobe entfernte sich rasch und tauchte in der Menge unter. «Er wird uns entkommen», rief Reilly verzweifelt, und da klar war, dass sie mit den Fahrzeugen nicht weiterkamen, stieg er hastig über die Rückenlehne der mittleren Sitzbank und über Ertugrul hinweg, stieß die Wagentür auf und stürzte auf die Straße hinaus.
Im selben Moment hörte er, wie der Polizeichef dem Fahrer wütend etwas zuschrie, woraufhin der junge Polizist das Dümmste tat, was er hätte tun können: Er begann wild zu hupen, lehnte sich aus dem Seitenfenster und schrie und gestikulierte zum Fahrer des Wagens vor ihm, er solle Platz machen.
Reilly rannte bereits auf den Bombenleger zu, als er sah, wie dieser auf den unbedachten Ausbruch reagierte. Der Mann wandte ruckartig den Kopf, ohne innezuhalten, und ihre Blicke trafen sich.
Falsche Maßnahme, fluchte Reilly innerlich und zog im Laufen seine Pistole. Verdammt falsche Maßnahme.
Zahed sah Reilly von dem schwarzen Geländewagen her auf sich zustürmen und rannte ebenfalls los. Es gab keine Sekunde zu verlieren. Reilly, die Pistole in der Hand, war noch etwa ein Dutzend Wagenlängen entfernt. Jetzt sprangen noch weitere Männer aus dem schwarzen Suburban und einem identischen Wagen dahinter.
Damit hatte Zahed nicht gerechnet.
Die sind gut, dachte er wütend. Nein, nicht «die», korrigierte er sich selbst. Reilly. Reilly ist gut.
Er schob den Gedanken von sich. Im Augenblick hatte er andere Sorgen.
Er hatte seinen Mietwagen ein Stück hangabwärts geparkt, und ihm war sofort klar, dass er ihn dort stehenlassen musste. Der Wagen war etwa fünfzig Meter entfernt, zu weit, als dass er ihn sicher hätte erreichen können.
Er entschied sich für einen weit effizienteren Fluchtweg.
Mit der kühlen Routiniertheit eines Mannes, der einen Ablauf für das Finale einer Realityshow hundertmal geprobt hatte, machte er kehrt und rannte wieder bergauf – mitten in die Menschenmenge hinein und Reilly entgegen, geradewegs, und darauf kam es an, auf die Fahrzeuge zu, die vor dem Eingangstor zum Gelände standen.
Im Laufen zog er unter seiner Priesterrobe die Glock hervor. Und eröffnete ohne Zögern das Feuer.
Die ersten sechs Schüsse richtete er über die Menschenmenge hinweg und schrie: «Verschwindet! Weg von hier! Sofort!» Dabei fuchtelte er wild mit den Armen. Das wirkte augenblicklich – die Schaulustigen brachen in Panik aus und rannten schreiend vor ihm davon, geradewegs Reilly entgegen.
Zahed lief auf den Fahrer des vordersten Wagens in der Schlange zu. Der Mann war wie angewurzelt bei der Fahrertür seines Lieferwagens stehen geblieben und starrte Zahed entsetzt und verständnislos an.
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