Dohlenflug
während Sie weg waren«,
fuhr Kotek fort, »und hätte Wegener bemerken müssen, wenn
der sich in Ihrer Spur dem Haus genähert hätte.«
»Tini ist allein zurückgekommen«,
stellte Häuslschmied klar. »Ich hab sie schon von Weitem
gesehen. Sie hat mir von draußen etwas zugerufen. Aber als ich
öffnete, war plötzlich dieser Mensch da und hat uns ins Haus
gescheucht.«
Hohenauer blickte verärgert
zu ihrer Großtante hinüber. »Das stimmt doch nicht,
Mandi-Tant! Vielleicht hast du ja nicht immer hinausgeschaut. Der Mann war
die ganze Zeit hinter mir. Ich musste am Gartentor stehen bleiben, erst
dann ging er voraus, während er auf mich zielte, und stellte sich
schließlich neben die Haustür, wo du ihn nicht sehen konntest.«
Kotek schüttelte den
Kopf, was man bei einer Gehirnerschütterung eigentlich tunlichst
unterlassen sollte. Sofort wurde ihr schwindlig, und auch die Übelkeit
verstärkte sich.
»Zweifeln Sie nicht die
Glaubwürdigkeit Ihrer Großtante an, Tina«, sagte sie
ächzend. »Hätten Sie Ihre Aufgabe ernst genommen, dann hätten
Sie sie gar nicht erst allein gelassen. Aber Sie mussten ja raus, um Frau
Häuslschmied abzulenken und Ihrem Komplizen das Näherkommen zu
ermöglichen. Das Geräusch Ihrer Schritte sollte das von seinen
überdecken. Deshalb auch die Show mit den Schmelzsicherungen.«
Die so Beschuldigte zerrte
aufgebracht an ihren Handschellen. »Was … was reden Sie denn
da für ein wirres Zeug?«
»Seien Sie leise, ich
bitte Sie! Es geht hier nämlich nicht nur um Frau Häuslschmieds
und mein Leben, sondern auch um Ihres«, mahnte Kotek, und sie meinte
ihre Worte durchaus ernst.
»Natürlich geht es
um unser aller Leben«, pflichtete ihr das Mädchen achselzuckend
bei.
»Aber Ihnen ist um
Ihres nicht bange, Tina. Sie träumen davon, die Früchte dieses
Coups gemeinsam mit Ihrem Liebhaber irgendwo fernab der Heimat genießen
zu können. Aber, und jetzt hören Sie mir mal ganz genau zu: Er
kann es sich nicht leisten, auch nur eine von uns leben zu lassen, nicht
einmal eine nützliche Freundin.«
Der Schuss saß.
Hohenauer lief ebenso rot an wie vorhin, als Wegener behauptet hatte, sie
sei die Geliebte Marageters. Dass beides zutraf, dessen war sich Kotek
sicher.
Sie bemühte sich,
sachlich zu bleiben, und wählte ihre Worte mit Bedacht: »Tina,
nicht Marageter hat Fredl Schleißheimer und Lotte Heinrich
erstochen, sondern Wegener. Er hat den Brief, mit dem Hans Häuslschmied
Lotte Heinrich aus den USA zurücklocken wollte.«
»Aber ist jemand, der
das Briefgeheimnis verletzt, denn gleich ein Mörder?«,
protestierte Hohenauer schwach.
»Wer sonst als der Mörder
hätte riskiert, dieses wichtige Schreiben in Anwesenheit eines so
erfahrenen Kriminaltechnikers wie Bezirksinspektor Stubenvoll an sich zu
nehmen? Marageter jedenfalls ist kein Hasardeur, der alles auf eine Karte
setzt. Übrigens hat man ihn vor Kurzem mit einem seiner Betthasen in
der Wolkerl-Hütte gefunden – volltrunken und aufgelöst in
Selbstmitleid.« Sie verschwieg bewusst, dass es Salma Schleißheimer
war, die dem Gesuchten in der Stunde der Not beigestanden hatte.
»Mit einem seiner
Betthasen«, wiederholte Hohenauer prononciert. Dann konnte sie nicht
mehr an sich halten, und es platzte grimmig aus ihr heraus: »Ja, dafür
ist ihm unsereins gut genug, dem Pauli: fürs Bett! Aber wenn frau
etwas mehr will – nein, o Gott, kein Eheversprechen oder sonst was
Schwerwiegendes! –, nein, nur ein wenig mehr Zeit, Aufmerksamkeit
und Zuwendung – ja doch: Zuwendung! –, dann zieht der coole
Pauli nicht nur sein bestes Stück, sondern gleich sämtliche
Antennen ein.«
»Und genau diese Enttäuschung«,
unterstellte Kotek, »hat Sie empfänglich für Wegeners
Avancen gemacht, nicht wahr?« Als sie keine Antwort erhielt, fuhr
sie fort: »Jedenfalls hat Marageter heute haarklein erzählt,
womit er bis dato erpressbar war. Vor fast zwanzig Jahren hat er die Aufklärung
eines Mordes behindert beziehungsweise ihn verschleiert. Schlimm für
ihn, wenn er noch Beamter wäre, ist er aber nicht mehr. Marageter mag
ein Windhund sein, aber davon, ein kompromissloser Serienmörder zu
sein, ist er ebenso weit entfernt wie wir drei, und er hat Sie, Tina,
heute Vormittag auch ganz bestimmt nicht angerufen oder angesimst.«
Die Ermittlerin hielt einen
Moment inne. Die nächsten Sätze waren
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