Dohlenflug
habe ja jetzt schon verdammte Krämpfe.«
Er musste Atem holen, um
weitersprechen zu können. »Ich brauche wirklich eine Mütze
voll Schlaf. Andererseits wird Jacobi Himmel und Hölle in Bewegung
setzen, wenn Melanie sich nicht zur vereinbarten Zeit über ihr
Spezialhandy meldet. Der nächste Anruf sollte um vierzehn Uhr
erfolgen, also jetzt gleich.«
Er lachte kurz auf. »Heut
Morgen hat mir Weider am Telefon noch ganz unbefangen erzählt, der
Chef habe Kontrollanrufe im Zwei-Stunden-Takt verlangt. Also, Melanie, du
wirst Hans gleich folgenden Text aufsagen: ›Bei uns ist noch immer
alles in Ordnung, keine besonderen Vorkommnisse. Gibt’s bei euch was
Neues?‹ Nur das! Keine Grüße oder sonst irgendwas, und
vermeide alle Codewörter, die andeuten könnten, dass etwas faul
ist. Beim geringsten Verdacht erschieße ich dich.«
»Und was sage ich, wenn
Hans tatsächlich etwas Neues zu berichten hat?«
»Dann lass ihn reden
und verabschiede dich anschließend mit: ›Okay, dann bis später.‹.
Aber es wäre besser für euch, wenn der Anruf ohne Komplikationen
vonstattenginge.«
Er wählte eine
Kurznummer auf ihrem Handy und hielt es ihr ans Ohr.
Wie erwartet hob Weider ab.
Kotek sagte folgsam ihren Text auf, Weider hatte nichts zu berichten, und
Wegener legte danach ohne Hast auf.
»Wenn er nichts gemerkt
hat, haben wir jetzt weitere zwei Stunden gewonnen. Trotzdem sollten wir
bis spätestens sechzehn Uhr oder besser sechzehn Uhr dreißig
von hier verduftet sein, denn Jacobi hat meistens noch einen Joker im
Talon. Aber selbst, wenn Hans was gemerkt hätte: Sogar Urviecher wie
Leo und Lenz bräuchten auf Tourenskiern immer noch gute zwei Stunden
von Böckstein bis hierher, vorausgesetzt, dass sie noch in Gastein
sind. Es ist jetzt knapp nach zwei. Um vier wirst du über drei Leben
befinden, Amanda: über das der beiden jungen Damen und dein eigenes.«
Er nahm aus der
Stecknadeldose zwei kleine Schlüssel, zeigte sie den Frauen und
sagte: »Mein eigener und deiner, Melanie.« Sie waren für
die Handschellen. »Fluchtversuche sind also unnötig und vor
allem nutzlos. Selbst wenn es euch gelänge, das Haus zu verlassen, würdet
ihr nicht weit kommen. Sämtliche Tourenski stehen drüben im
Schlafzimmer, mit denen hole ich euch schnell ein. Also versucht es erst
gar nicht. Ihr erspart euch eine Menge Schmerzen – zumindest
vorerst.«
Er verließ die Stube
und schloss im Schlafzimmer hinter sich ab, wohl um nicht durch irgendeine
Verzweiflungsattacke überrascht zu werden. Spätestens ab diesem
Zeitpunkt war klar: Wegener hatte tatsächlich vor, sich hinzulegen,
sein Schlafbedürfnis musste im wahrsten Sinne des Wortes überwältigend
sein.
Kotek hatte Todesangst, und
gerade deshalb arbeitete ihr Gehirn auf Hochtouren. Wegener war durch den
extremen Schlafmangel oder seinen Medikamentenmissbrauch zwar platt, aber
Gefangene – und mochten sie auch angekettet sein –
unbeaufsichtigt sich selbst zu überlassen, das hätte auch in
seiner Lage wohl kaum ein Schwerverbrecher getan. Und da er kein hundertäugiger
Argus war, musste er andere Augen haben, die für ihn wachten.
Es dauerte keine fünf
Minuten, da ertönte aus dem Nebenraum lautes Schnarchen. Trotzdem ließ
Kotek es vorsichtig angehen.
»Wo sind die Handys?«,
fragte sie leise.
»Sämtliche Handys,
Ihr Lawinenpiepser und unsre Glocks liegen drüben bei ihm im
Schlafzimmer«, gab Hohenauer ebenso leise Auskunft.
»Wie und wo hat er Sie
letztlich erwischt?«
»Es war so, wie er erzählt
hat. Er hat mich auf der Brücke gehört und dann hinterm
Valerie-Haus auf mich gewartet. Als ich von der Genossenschaftsalm kam und
nah genug heran war, stand er plötzlich da und hielt mir die Pistole
unter die Nase. Anschließend hat er mich vor sich hergehen lassen
und sich hier neben die Tür gestellt, ehe mir Amanda öffnete.«
Kotek horchte auf das
Schnarchen im Nebenzimmer. Sie wusste, sie hatte nur diesen einen kleinen
Trumpf in der Hand, und der musste stechen. Aber dazu musste sie ihn erst
ausspielen.
»Hm, Tina«,
begann sie verhalten, »das ist leider schwer zu glauben, ebenso
wenig wie die anderen Zufälligkeiten.«
Hohenauer drehte ihren Oberkörper
zur Seite und versuchte der Mitgefangenen ins Gesicht zu blicken. »Ich
glaube, ich verstehe nicht ganz.«
»Frau Häuslschmied
saß sicher ständig am Fenster,
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