Dohlenflug
Amanda, nach allem, was mir Oma vor einigen Jahren kurz vor ihrem
Abgang gesagt hat«, widersprach Wegener. »Sie wusste ja über
meine Achillesferse Bescheid und hatte meine verkorkste Jugend hautnah
miterlebt. Vor ihrem Tod hat sie mir eingeschärft, dich aufzusuchen,
wenn ich einmal nicht mehr weiterwüsste. Du seiest im Besitz eines
geheimnisumwobenen Goldschatzes, von dem du mir notgedrungen etwas abgeben
würdest, wenn ich dich nachdrücklich darum bitte. Mit der Zeit
vergaß ich das märchenhafte Vermächtnis allerdings und war
deshalb freudig überrascht, als ich dem Gold in den Unterlagen von
Fredl Schleißheimer und Lotte Heinrich wiederbegegnete.«
Den Entschluss, ihn dir
anzueignen, hast du aber schon Wochen zuvor gefasst, dachte Kotek, während
Häuslschmied gehässig keifte: »Deine Oma hat dir Unsinn
erzählt. Wahrscheinlich hat sie schon deliriert!«
»Halt bloß den
Rand, du altes Fossil!«, fuhr Wegener sie an und ließ die
Maske der Umgänglichkeit wieder fallen. »Du bekommst schon noch
Gelegenheit, dein Maul aufzumachen, und zwar bald. Die Fini-Oma empfahl
mir, dich nachdrücklich
um die Herausgabe des Goldes
zu bitten, und genau das werde ich jetzt tun.«
»Mich bringst du nicht
zum Reden, du Nichtsnutz, mich nicht«, giftete Häuslschmied zurück.
»Es ist dir vorgestern Nacht nicht gelungen und wird dir auch jetzt
nicht gelingen.«
Wegener sah sie ausdruckslos
an und verzichtete auf eine Entgegnung. Kotek versuchte ebenfalls
schleunigst das Thema zu wechseln.
»Aber auch, wenn du
weitgehend enterbt worden bist, so hattest du doch immer noch das Erbe
deiner Mutter, oder?«
»Ja, jedenfalls bis vor
zwei Jahren. Da geriet ich in einen regelrechten Spielrausch. Ich hab
nicht nur wochenlang am Roulettetisch gezockt, sondern mein Glück
auch an der Börse versucht.«
»Was dich in den Ruin
getrieben hat?«
»Allerdings. Die
ohnehin schon belasteten Baumgartner-Villen am Wörthersee waren dank
taffer Berater von einem Tag auf den anderen futsch. Bei den Wohnblöcken
in Salzburg und Graz dauerte es etwas länger.«
»Du … du wohnst
also heute nur noch als Mieter in einem Haus, das …«
»… das früher
mir gehört hat. Du sagst es, Melanie.«
Kotek war bewusst, dass ihre
nächste Frage platt war wie eine Flunder, doch sie konnte nicht
anders. »Tut mir leid, aber ich muss dich das einfach fragen: Was
hat dich dazu getrieben? Gut, dein Vater hat dich verstoßen, aber
damit warst du immerhin noch weit besser dran als neunzig Prozent aller
Europäer.«
Wegener grinste müde.
»In der Tat eine blöde Frage. Ich hab mich nicht anders
verhalten als die meisten neoliberalen Luschen: Ich hatte viel, wollte
aber mehr, und heute lebe ich auf Pump. That’s it. Alle zocken doch,
Melanie. Es geht nicht um Besitz, sondern um den Kick, noch mehr bekommen
zu können.«
»Und dabei wird weder
nach links noch nach rechts geschaut?«
»Richtig. Auch nicht
nach vorn und hinten. Nur der Augenblick zählt.«
»Wie ging es dann
weiter?«
»Da mich meine
Stiefmutter zeitweise von Privatschnüfflern hat beobachten lassen,
war ihr meine Katabasis nicht verborgen geblieben. Angesichts der
verzockten Immobilien fiel es den Anwälten meines Vaters nun leichter
als früher, die Notbremse zu ziehen, und ich wurde in erster Instanz
tatsächlich für erbunwürdig erklärt.«
»Und als es in den
letzten Wochen hieß: rien ne va plus, bist du Amok gelaufen?«,
wagte sich Kotek weit vor. Wegener musterte sie kalt. Vermutlich überlegt
er, wofür er mich überhaupt noch braucht, dachte sie.
»Ich bin nicht Amok
gelaufen«, sagte er ruhig. »Ich habe – wie Paul
Marageter auch – unseren gemeinsamen Jugendfreund Schleißheimer
nur um eine weitere Stundung meiner Kreditzinsen ersucht. Aber dieser Spießer
hatte ja wegen der anstehenden Revision totalen Schiss.«
»Aus seiner Sicht nicht
ganz unverständlich. Wie hoch sind denn deine Verbindlichkeiten?«
Keine Antwort.
Kotek versuchte es anders:
»Hat Schleißheimer das Kundengespräch mit dir auch
heimlich aufgezeichnet – so wie die mit Marageter und Regenmandl?«
»Hat er«, gab
Wegener nun wieder bereitwillig Auskunft. »Während Leo und du
unten im Wohnzimmer seine Witwe vernommen habt, bin ich im ersten Stock in
seinem Büro auf die Regenmandl-CDs und die Kassetten gestoßen.
Die CD und die Kassette, die mich
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