Dohlenflug
Jahren Arbeit beim
Referat 112 weiß ich schließlich, wie er und das Sechserpack
ticken. Der Mord an Schleißheimer wäre vielleicht noch eine
Zeit lang als Beziehungskiste durchgegangen, aber die folgenden
keinesfalls. Und die Zeit wurde auch immer knapper, weil Jacobi nach
Amandas Anruf bei der toten Lotte Heinrich viel zu früh auf das
Nazigold aufmerksam geworden ist und die richtigen Schlüsse gezogen
hat. Mir war sofort klar, dass ich das Land verlassen muss, und ebenso
wusste ich, dass man Stubenvoll spätestens am nächsten Tag
finden würde.«
»Stubi? Was hast du mit
ihm gemacht?«, fuhr Kotek auf und vergaß einen Augenblick lang
die eigene aussichtslose Lage.
Wegener blies die Atemluft hörbar
durch die Nasenlöcher aus, um seiner Missbilligung Ausdruck zu
verleihen. »In seiner fürsorglichen Art wollte er mir verdammt
noch einmal genau zu dem Zeitpunkt einen Krankenbesuch abstatten, als ich
mit Regenmandls Wagen von der Ettenau zurückkam. Aber anstatt mich
blass geschminkt im Bett vorzufinden, ist er mir vor dem Zinshaus
begegnet, als ich einparkte.«
»Du bist mit einem zur
Fahndung ausgeschriebenen Wagen am helllichten Tag durch die Gegend
gefahren?«
»Natürlich nicht
mit Regenmandls Nummernschildern.«
»Aber du hast Oliver
nicht …?«
»Nein, ich hab ihm nur
eins übergezogen, weil zum Glück niemand in der Nähe war.
Dann hab ich ihn gut verpackt in meinem Kellerabteil abgelegt, bevor ich
nach Kolm-Saigurn gefahren bin. Genau wie du jetzt sollte er meine
Versicherung sein, falls nicht alles so laufen würde wie vorgesehen.
Aber nun, meine Liebe, habe ich dank Tinas Unterstützung den kleinen
Vorsprung so ausgebaut, dass mich auch Jacobi nicht mehr einholen wird.
Dich und Amanda brauche ich nicht mehr. Im Vergleich zu euch hat Oliver Glück,
ihn wird man lebend finden.«
45
FEUERSANG HATTE das Landhaus
erreicht. Auch wenn er Kräfte hatte wie ein Stier, bei einer so
anspruchsvollen Tour querfeldein konnte er mit Redls Schnelligkeit und Zähigkeit
nicht mithalten. Sein Kollege war bereits seit zehn Minuten vor Ort und
hatte von der Gartenmauer aus die Lage gecheckt.
Längst befanden sich
auch Alpingendarmerie und MEK von Böckstein her im Anmarsch, und da
inzwischen auch der Schneefall nachgelassen hatte, wartete zusätzlich
ein Hubschrauber in St. Johann auf die Starterlaubnis.
Redl nahm das StG 77 von der
Schulter und drückte es dem nach Luft ringenden Feuersang in die Hände.
»Gib mir Feuerschutz,
wenn ich schau, ob ich die Tür aufkriege.«
Kommentarlos nahm Feuersang
das Sturmgewehr und brachte sich und die Waffe in Position. Trotz seiner
Erschöpfung wäre ihm nie eingefallen, Redl vorzuschlagen, doch
besser auf das MEK zu warten. Melanie, die Partnerin Jacobis und ihre
langjährige Kollegin und Freundin, war in Lebensgefahr –
vorausgesetzt, sie lebte überhaupt noch! –, da gab es kein Zögern.
Sie hatten Fehler gemacht.
Sogar der Chef, der bereits im Flugzeug nach Salzburg saß, hatte
gepatzt. Wohl hatten sie dem Mörder, dessen Identität erst seit
Kurzem feststand, mit dem Zeugenschutzprogramm eine Falle gestellt, hatten
dabei aber nicht berücksichtigt, dass eine handwerklich geschickte
Person durch den Imhof-Stollen ins Naßfeld gelangen und sich auf dem
gleichen Weg auch wieder zurückziehen konnte.
Einer der demnächst
eintreffenden Alpingendarmen, der sich leidlich im Siglitz-Stollen-Gewirr
auskannte, hatte jetzt den Auftrag bekommen, diese Möglichkeit abzuklären.
Lenz und er, Leo Feuersang, hatten den Naßfelder Stolleneingang
rechts liegen lassen, obwohl sie glaubten, über die Ache hinweg
Spuren vor dem Tor gesehen zu haben. Natürlich hatten sie Meldung
gemacht, aber die Spuren zu verfolgen war ein Job für Ortskundige,
ihr Job war das Landhaus.
Noch immer war unklar, warum
sich Melanie hatte überrumpeln lassen. Um zwölf Uhr, als sie
beim Landhaus angekommen war, hatte sie noch relativ entspannt am Handy
bestätigt, dass alles in Ordnung sei, obwohl zu diesem Zeitpunkt
nicht nur Regenmandl, sondern – eine haarsträubende
Vorstellung! – auch noch Stubi als Q in Frage gekommen war. Zwei
Stunden später hatte sie das Codewort jedoch nicht mehr gesagt,
sodass Jacobi das Team unverzüglich auf Trab gebracht hatte. Wie
Wegener ins Haus hatte gelangen können, blieb trotzdem rätselhaft.
Melanie hätte nie eine
Weitere Kostenlose Bücher