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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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Sollen
     da drinnen in Zukunft vielleicht neun Skelette sitzen anstatt sechs?
     Apropos: Haben die Gebeine in der Landser-Uniform wirklich jenem Siegfried
     Röck gehört, den Wegener erwähnt hat?«
    Amanda Häuslschmied
     antwortete erst nach langem Zögern – und vermutlich auch nicht
     aus dem Bedürfnis heraus, sich mitzuteilen, sondern wohl eher, weil
     sie glaubte, demnächst nicht mehr am Leben zu sein und deshalb ohne
     Skrupel aus der Schule plaudern zu können.
    »Ja. Mein Mann hat mir
     gegenüber zwar nie ein Wort darüber verloren, aber er hatte die
     Angewohnheit, im Schlaf zu sprechen. Außerdem habe ich in seinem
     Nachlass ein Schreiben gefunden, das an die Angehörigen des
     Kriegskameraden adressiert war. Aus dem Inhalt geht hervor, dass Röck
     den Brief in einer Almhütte seiner Familie hinterlegt hatte. Eltern
     oder Geschwister sollten ihn im Falle seines Todes dort vorfinden, aber
     Hans muss vorher drauf gestoßen sein.«
    Aus dem aufgelassenen Stollen
     drangen Geräusche, wie sie beim Umschlichten von Steinen verursacht
     werden.
    »Geht es auch etwas
     konkreter?«, bohrte Kotek weiter, den Blick gebannt auf den
     schwachen Lichtschein gerichtet, der aus dem schicksalhaften Loch drang.
    Wieder legte die Greisin eine
     Pause ein, ehe sie weitersprach: »Röck schrieb, seine Eltern
     oder Geschwister würden dieses Schreiben nur dann zu Gesicht
     bekommen, wenn er am siebzehnten Mai neunzehnhundertfünfundvierzig
     nicht nach Hause zurückkehrte. Dann wäre er ermordet worden:
     entweder von zwei Amerikanern – in diesem Fall würde auch sein
     Freund und Kriegskamerad Hans Häuslschmied vermisst werden –
     oder von Hans selbst, der dann wahrscheinlich nach einiger Zeit wieder
     allein in Gastein auftauchen würde. Würde das passieren, so hätte
     Hans ihn wegen eines Goldschatzes in den Siglitz-Stollen im Naßfeld
     erschossen und seine Leiche dort versteckt. Nun frage ich Sie: Welche Schlüsse
     würden Sie ziehen, wenn Sie im Nachlass Ihres Gatten einen solchen
     Brief gefunden hätten?«
    Wieder herrschte Schweigen
     zwischen den beiden Frauen. Nur die dumpfen Geräusche im Stollen und
     manchmal auch das laute Atmen Wegeners waren zu hören.
    »Hat Ihr Mann in seinen
     Albträumen ausdrücklich gesagt, er habe Röck erschossen?«
     Während Kotek die Frage stellte, galt ihre Aufmerksamkeit nach wie
     vor dem Seitenstollen, wo Wegener der Entdeckung des Goldschatzes
     entgegenfieberte – ebenso wie sie selbst, sie jedoch voller Angst,
     denn dieser Moment würde für sie den Tod bedeuten.
    »Immer wieder«,
     bestätigte Häuslschmied. »Er hat Siegi von hinten in den
     Kopf geschossen, noch ehe alle Barren hier gebunkert waren. Wegener hat
     die Wahrheit erraten: Mein Mann hatte große Angst, es könnte
     ihm ebenso ergehen wie den beiden Amis, denen sie das Gold abgenommen
     hatten. Deshalb wollte er seinem Kumpel zuvorkommen und hat zur Pistole
     gegriffen. Die könnte in jener Nische versteckt gewesen sein, in der
     vorhin der Schürhaken lehnte.«
    Drinnen im Seitenstollen ertönte
     ein unartikulierter Schrei. Die Frauen hörten Wegener nach vorn zum
     Loch stürmen, er beugte sich mit dem Oberkörper heraus und
     leuchtete die Dreiergruppe am Boden an.
    »Das Gold … es
     ist da! Es ist wirklich da!« Er schrie so laut, dass sich das Echo
     in den verzweigten Gängen brach.
    »Es ist da«,
     wiederholte er noch einmal leiser, jetzt mit fester Stimme, so als wolle
     er vor sich selbst die Morde rechtfertigen, die er dieses Schatzes wegen
     begangen hatte – und noch begehen wollte.
    Kotek nahm allen Mut zusammen
     und fragte: »Und? Willst du uns nicht die Handschellen abnehmen,
     damit wir helfen können, die Barren hinauszutragen?«
    Wegener ließ sie einige
     furchtbare Augenblicke lang schmoren, ehe er sagte: »Weißt du,
     Melanie, die alte Schabracke neben dir kapiert tatsächlich schneller
     als du, was abgeht. Sie hat den weiteren Verlauf dieses Tages schon exakt
     beschrieben: Ich nehme jetzt nur zwei Barren mit. Damit bin ich mobiler
     als mit mehreren und mit euch als Trägerinnen. Wenn ihr hier bleibt,
     werden Jahre vergehen, bis man eure Leichen hinter der Mauer findet.«
    »Du brichst die Brücken
     hinter dir ab?«, fragte Kotek, nur um irgendetwas zu sagen und nicht
     vollständig ihrer Todesangst zu verfallen.
    Wegener lachte verächtlich.
     »Was denkst du denn? Natürlich wird Jacobi demnächst
     dahinterkommen, dass ich der Mörder bin. Nach zehn

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