Dohlenflug
Wand eingeschlagen und waren nach allen
Seiten geflogen – einige auch in ihre Richtung. Zum Glück
hatten die Gneisschieferbrocken weder sie noch ihre Leidensgenossin
verletzt.
Trotz Sauerstoffmangels und
Benommenheit begriff Kotek, dass die Explosion im Seitenstollen erfolgt
sein musste. Konsequenzen konnte ihr malträtiertes Gehirn daraus
allerdings noch nicht ableiten.
»Jetzt, Frau Kotek!«,
krächzte Amanda Häuslschmied, krampfhaft nach Luft ringend.
»Jetzt macht es Sinn, ein Stück in die Richtung zu gehen, aus
der wir gekommen sind.«
Sie rappelten sich auf und spürten
dabei, wie der Staub, den sie einatmeten, auch an ihrer Haut und ihren
Kleidern haften blieb. Beide fassten sie den erschlafften Körper Tina
Hohenauers mit der jeweils nicht angeketteten Hand unter einer Achsel und
setzten sich so als makabrer Kondukt in Bewegung.
Tatsächlich schafften
sie es, den gruseligen Ballast in vollkommener Finsternis so weit zu
schleifen, bis die Luft besser wurde. Entkräftet setzten sie sich
wieder auf den Boden, und Kotek wurde die Paradoxie von Situation und
Befindlichkeit schlagartig bewusst: Eben noch vom Erstickungstod bedroht,
vollkommen desorientiert im stockdunklen Labyrinth eines aufgelassenen
Bergwerks und an eine Leiche gefesselt, ergab sie sich jetzt ihrer
Erleichterung und ließ ihren Tränen, die ohnehin niemand sehen
konnte, freien Lauf. Nur ganz allmählich konnte sie sich zwingen, in
die triste Realität zurückzukehren.
»Ich wiederhole jetzt
meine Frage von vorhin«, nahm sie den Faden wieder auf. »Und
kommen Sie mir bloß nicht wieder mit der lapidaren Erklärung
einer Explosion. Das allein reicht mir nicht.«
»Aber alles, was ich
jetzt sage, kann gegen mich verwendet werden, so ist es doch, oder?«
Die Gegenfrage Häuslschmieds,
als typisches Zitat aus amerikanischen Krimis formuliert, wäre in
einer weniger ernsten Lage vielleicht sogar als missglückter Scherz
durchgegangen, doch Kotek ahnte, woher der Wind wehte.
»Erstens sind wir nicht
in den USA«, hielt sie fest, »zweitens warte ich auf eine Erklärung
für das, was da gerade passiert ist«, das Klimpern der
Handschellen verriet, dass sie mit der angeketteten Hand irgendwohin
zeigen wollte, »und drittens gilt ein durch Unterlassung herbeigeführtes
Ereignis, das einen Amok laufenden Mörder stoppt, sicher als Notwehr.«
»Können Sie mir
das garantieren?«
»Sagen Sie mir einfach,
was Sache ist, dann kann ich Ihnen auch konkret antworten.«
Wieder ließ sich Häuslschmied
so lange Zeit mit der Antwort, dass Kotek schon gar nicht mehr damit
rechnete.
»Mein Mann hat die
obersten Barren mit einem Bewegungszünder versehen«, begann sie
langsam. »Schon vor circa zwei Jahrzehnten. Er misstraute Kajetan
Czerwenka. Das alte Schlitzohr glaubte zu wissen, wo sich das Gold befand,
hat aber schließlich doch nie gewagt, Hans übers Ohr zu hauen.
Der chemische Zünder war an acht Stangen Dynamit gekoppelt. Wäre
einer dieser Barren bewegt worden – so wie gerade eben –, wäre
es augenblicklich zur Zündung gekommen …«
»… und dem
unbefugten Schatzsucher wäre – so wie eben – das halbe
Kolmkar-Massiv um die Ohren geflogen«, ergänzte Kotek. Ihre
Euphorie überlagerte im Moment nicht nur die jüngsten
Ereignisse, sondern auch das Grauen vor Hans Häuslschmieds
Vorgangsweise.
»So ist es«, bestätigte
die Witwe eines Monsters. »Aber das ist noch nicht alles: Direkt
hinter dem aufgeschichteten Absatzmaterial befand sich ein mehrere hundert
Meter tiefer Schacht. Wohlgemerkt: Er befand sich dort. Jetzt dürfte
er zugesprengt sein, und das Gold liegt an seinem Boden mit einigen Tonnen
Gestein darüber. Hans wollte für den Fall der Entdeckung sämtliche
Spuren vernichten, die zu ihm führen konnten.«
Wegener und die Skelette sind
wohl eher samt der Trockenmauer in den Hauptstollen geblasen worden,
dachte Kotek und konnte sich des Schauderns nicht erwehren. Vielleicht
waren sie beide sogar schon auf Fleisch- oder Knochenteile ihres Peinigers
getreten, als sie Hohenauers Leiche am Seitenstollen vorbei hierher
geschleppt hatten.
»Tja, letztlich war er
doch kein so guter Spieler«, sagte Häuslschmied, ohne ihre
tiefe Befriedigung zu verhehlen. »Im entscheidenden Moment hat ihn
die Gier übermannt, und er ist unvorsichtig geworden. Ein richtiger
Zocker wäre auch in Erwartung
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