Dohlenflug
des Jackpots kühl und besonnen
geblieben und hätte uns die Barren holen lassen.«
Kotek fiel Leo Feuersangs
Spruch über die Gier ein, der sich allerdings auf die Dohlen vor der
Rettenwänd-Hütte bezogen hatte. »Ja, Wegener war ein
pathologischer Spieler, deshalb hatte er ja schon die sorgenfreie Zukunft,
die er hätte haben können, mutwillig verzockt«, pflichtete
sie der Älteren bei. »Er war überhaupt ein mieser
Charakter, ein amoralischer Mensch ohne jede Empathie und Wertvorstellung.
Es wirft kein gutes Licht auf uns als seine Kollegen, dass wir jahrelang
nichts davon bemerkt haben.«
»Apropos Licht«,
merkte Häuslschmied an, »die Gänge scheinen wieder relativ
gut durchlüftet zu sein. Wir könnten wieder zum Abraumstollen
zurückkehren und versuchen, einen der Rucksäcke zu ertasten.«
»Warum? Um eine
Taschenlampe zu finden? Was nützt uns das Licht, wenn wir die
Handschellen nicht abmachen können?«
»Vielleicht finden wir
ja auch irgendwo die Schlüssel«, wandte die Seniorin ein.
»Wegener hatte alle
drei in einer Tasche seines Parkas, sie können weiß Gott wo
sein.«
»Nun, immerhin stehen
die Chancen gut, die Lampen zu finden, und außerdem haben wir jetzt
jede Menge Zeit, um nach den Schlüsseln zu suchen.«
»Da können wir
genauso gut auf meine Leute warten, die kommen sicher bald. Sie müssen
einfach den Brief im Landhaus gefunden haben und uns finden.«
»Sie kommen bald? Und
wann soll dieses ›bald‹ sein?« Häuslschmied
sprach aus, was Kotek dachte.
Doch gerade, als Angst und
Ungewissheit wieder zurückkehren und die Oberhand gewinnen wollten, hörten
sie in der Ferne Hundegebell.
»Gott sei Dank haben
sie uns nicht früher gefunden. Wegener hätte uns in diesem Fall
ganz bestimmt erschossen, solange er dazu noch in der Lage war«,
sagte die alte Frau trocken in die unbeschreibliche Freude hinein.
47
AM NÄCHSTEN TAG präsentierte
sich der Himmel über Schwarzach-St.Veit in unverschämtem Blau,
und wären nicht die dicke Schneedecke und die zahllosen geknickten Bäume
und Sträucher im Salzachtal gewesen, man hätte den frühzeitigen
Wintereinbruch in den Zentralalpen für einen frostigen Spuk halten können.
Melanie Kotek setzte sich im
Krankenbett auf der Internen im Kardinal-Schwarzenberg-Krankenhaus auf.
Die Untersuchungen hatten sowohl bei Amanda Häuslschmied als auch bei
ihr zu keinen beunruhigenden Diagnosen geführt. Abgesehen von der
Gehirnerschütterung und der Platzwunde am Hinterkopf, die ihr einen
turbanartigen Kopfverband beschert hatte, und einer leichten Erkältung
war sie okay. Frau Häuslschmied waren ebenfalls nur Antibiotika gegen
die Erkältung verabreicht worden, ansonsten ging es der alten Frau
erstaunlich gut.
Da Kotek Besuch erwartete,
stand sie entgegen der strikten ärztlichen Order, im Bett zu bleiben,
auf, schlüpfte aus ihrem Babydoll und stakste auf wackeligen Beinen
in die Dusche neben dem großen Fenster des Krankenzimmers. Nur mit
BH und Slip bekleidet stellte sie sich vor den Badezimmer-Spiegel.
»Sie sind selbst mit
Verband und blauen Flecken noch eine außergewöhnlich schöne
Frau, Melanie«, sagte Häuslschmied, die im zweiten Bett des
Zimmers lag und in die Dusche sehen konnte. »Jacobi kann sich
wirklich glücklich schätzen. Aber so, wie er Sie manchmal
ansieht, tut er das wohl auch.«
Kotek lachte leise auf.
»Ja, ich bin auch ganz zufrieden mit ihm. Die Idee mit dem
Zeugenschutzprogramm im Landhaus stammte übrigens von ihm –
ursprünglich zumindest. Vorgestern wollte er mich allerdings zum
Abbruch bewegen, hauptsächlich wegen des Wetters, das unsre Mobilität
einschränkte, aber leider nicht die von Wegener.«
»Also war ich doch der
Lockvogel, wie ich es von Anfang an vermutet hatte?«
»Amanda, es war
wirklich nicht vorgesehen, Sie oder uns in Gefahr zu bringen, aber mit
Insidern haben wir leider überhaupt nicht gerechnet.«
»Tinis tragische
Leidenschaft zu diesem Scheusal und ihr noch tragischeres Ende gehen mir
wirklich nahe«, sagte Amanda Häuslschmied leise. »Mir war
gar nicht bewusst, wie sehr sie mir ans Herz gewachsen war. Ihre Mutter
ist vor zwei Jahren gestorben, und einen Vater hatte sie nie. Ich war ihre
einzige noch lebende Verwandte und hatte sie insgeheim bereits als
Haupterbin vorgesehen.«
Die Stimme der Greisin war brüchig
geworden. Kotek wollte den Moment nicht
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