Dohlenflug
Blick auf einen Barren
geworfen, den er bei uns daheim zwischenlagerte. Er trug den Prägestempel
der königlich-ungarischen Nationalbank –«
»Königlich-ungarisch?«,
unterbrach Rothmayer ungläubig. »Aber die österreichisch-ungarische
Monarchie gibt es doch schon seit neunzehnhundertachtzehn nicht mehr.«
Jacobi räusperte sich.
»Das gilt nur für Österreich, Ewald«, soufflierte er
dezent. »Nach ein paar Monaten der Räterepublik wurde in Ungarn
neunzehnhundertzwanzig die Monarchie wieder eingeführt und von
Vizeadmiral Miklós Horthy als Reichsverweser bis zum Oktober
vierundvierzig verwaltet. Prägestempel der Monarchie auf ungarischen
Goldbarren sind im Frühjahr fünfundvierzig also durchaus noch möglich
gewesen.«
»So? Nun, man kann
nicht alles wissen, und wir von der Internetgeneration erst recht nicht,
haha!« Aber nur Rothmayer selbst schien sich über sein Bonmot
zu amüsieren. »Wie auch immer: Das Innenministerium hat uns,
was dieses Gold anlangt, einen Maulkorb verpasst. Das heißt, dass
wirklich nichts darüber an die Medien geht. Haben wir uns verstanden?«
Er blickte in die Runde. Die
meisten nickten, nur Kotek ließ ihn nicht so leicht davonkommen.
»Aber welche Motive haben Wegener dann zu den vier Morden
veranlasst?«
Rothmayer hatte diese Frage
erwartet. »Wir müssen so weit wie möglich bei der Wahrheit
bleiben. Also habe ich mir Folgendes überlegt: Wegener glaubte zu
wissen, dass Hans Häuslschmied den Großteil seines Vermögens
in Gold angelegt hat, weil er … nun, weil er im Kielwasser der
OPEC-Krise dreiundsiebzig eine weltweite Finanzkrise befürchtet
hatte. Dieses Gold sollte Frau Häuslschmied nun abgepresst werden,
aber es war nicht mehr vorhanden. Das müssen wir sagen …«
»… um keine
Abenteurer anzulocken«, ergänzte Kotek. »Ist klar.«
»Das hoffe ich, auch
wenn du nicht sehr begeistert klingst, Melanie. Alles andere kann eins zu
eins veröffentlicht werden.«
Kotek zuckte mit den Achseln.
»Bin nur gespannt, ob die alten Hasen das fressen.« Mit den
alten Hasen waren die erfahrenen Journalisten gemeint.
»Falls denn tatsächlich
einige Barren in jenem Schacht unten liegen sollten«, fuhr Rothmayer
fort, ohne ihren neuerlichen Einwurf zu kommentieren, »so ist zu
bedenken, dass sie nicht einmal dem österreichischen Staat gehören.
Sie zu bergen, die Eigentumsfrage zu klären und sie dann dem rechtmäßigen
Besitzer zurückzuerstatten, das würde nicht nur eine Unmenge an
Papierkram bedeuten, sondern wahrscheinlich auch mehr kosten, als die
Barren wert sind. Capito?«
Kotek hatte verstanden. Man
hatte vor, über die Causa »Nazigold« Gras wachsen zu
lassen. Nach angemessener Zeit sollte die Initiative dann diskret der
immer noch existierenden Bergbaugesellschaft überlassen werden, natürlich
ebenfalls unter der Auflage strengsten Stillschweigens.
49
AUS RÜCKSICHT auf Koteks
Gehirnerschütterung hatten sich fast alle Besucher bald wieder
verabschiedet, und Jacobi war jetzt mit seiner Partnerin im hellen
Aufenthaltsraum der Internen allein. Sie saßen an einem Fenstertisch
und schwiegen. Jacobi hielt Koteks Hände in den seinen.
In einem der Schwesternzimmer
polterte etwas Metallenes, vielleicht eine Alu-Leibschüssel, zu
Boden.
»War das der Stein, der
dir jetzt noch nachträglich vom Herzen gefallen ist?«, flachste
sie, um das Schweigen nicht zu ernst werden zu lassen.
Er seufzte vernehmlich, was
sonst nicht seine Art war. »Könnte durchaus sein. Gestern hätte
ich mich den ganzen Tag lang für die Idee, dem Mörder eine Falle
zu stellen, ohrfeigen können. Schließlich sind wir auch ohne
dieses haarige ZSP auf Werner gekommen.«
»Ja, und dafür
musste der arme Stubi die Birne hinhalten.«
»Leider. Ohne unsre
himmelschreiende Naivität wären wir sicher noch einen Tick
schneller gewesen und hätten ihm das erspart. Die Route durchs Naßfelder
Tal war für Wegener tabu, so schlau war er allemal, auch ohne dass er
von Lenz und Leo wusste. Also war der Imhof-Stollen eine überlegenswerte
Alternative für ihn, wobei das Knacken des Kolm-Saigurner Portals für
einen technisch so versierten Allrounder kein Problem darstellte. Und
sicherer als Touren über Baukarlscharte oder Miesbühelscharte,
die ein hohes persönliches Risiko für ihn bedeutet hätten,
war diese Variante auch. Aber wir kommen auf
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