Dohlenflug
Kopf. »Nein, das wird nicht nötig sein. Ich hab überall
nachgesehen, wo gewöhnlich wichtige Dokumente aufbewahrt oder
versteckt werden. Hab aber sonst nichts gefunden, was für unsern Fall
relevant sein könnte. Das volle Programm können wir immer noch
morgen abwickeln.«
»Gut. Dann rücken
wir für heute ab. Frau Schleißheimer, wir sehen Sie und Ihre
Tochter Christine morgen um zehn am Gendarmerieposten Bad Hofgastein.«
Salma Schleißheimer
zuckte mit den Schultern. »Ich werde da sein. Aber wie es Chrissie
morgen geht, kann ich heute noch nicht sagen. Das soll unser Hausarzt
entscheiden. Jetzt fahre ich jedenfalls erst mal zu meiner Mutter und hole
meine Tochter ab.«
5
DAS KAHLE BÜRO von
Gendarmerieoberst Oskar Jacobi am Franz-Hinterholzer-Kai sah ohne seinen
Bewohner noch kahler aus als sonst, stellte Melanie Kotek fest. Das einzig
Positive an diesem Raum war der Blick auf die Salzach und auf Jacobis
Dachterrassenwohnung am gegenüberliegenden Ufer, am Ignaz-Rieder-Kai.
Jacobi war Chef des
Kriminalreferats 112, der Abteilung für Verbrechen gegen Leib und
Leben, und schon vor Stunden nach Hause gefahren. Auf seinem Schreibtisch
stand ihr gerahmtes Foto. Seit mehr als zehn Jahren schon.
Die schwarz gebeizte
Pendeluhr an der Wand schlug elf. Kotek seufzte. Ihre Mitarbeiter hatte
sie längst nach Hause geschickt. Sie selbst hatte noch den Bericht
über die bisherigen Erkenntnisse geschrieben und wollte sich jetzt
die Kassetten anhören, die Wegener sichergestellt hatte. In den
ersten Tagen nach einem solchen Kapitalverbrechen war Hochdruck in der
Ermittlungsarbeit angesagt. Für sie eine Selbstverständlichkeit.
Während Kotek die Kurzwahl ihres Lebensgefährten aufrief,
blickte sie über die beleuchtete Salzach hinüber auf das Gebäude
mit der Dachterrasse.
Sofort wurde abgehoben.
»Ja?«
Der Bariton am anderen Ende
der Leitung weckte Melanie Koteks Lebensgeister. Der Mann, dem die Stimme
gehörte, machte einen erheblichen Teil dessen aus, was ihr
Lebensinhalt war.
»Ich brauch noch ein
bisschen«, sagte sie. »Muss mir noch zwei Kassetten anhören.«
»Komm, Katze, spiel
jetzt nicht den Superbullen. Nimm die Kassetten mit, und wir hören
sie uns gemeinsam an – vielleicht bei einer halben Flasche Cuvée?«
»Beweismaterial mit
nach Hause nehmen? Herr Oberst, ich muss doch sehr bitten! Aber überredet!
Ich bin in einer Viertelstunde da.«
6
MELANIE KOTEK besaß
selbst zwei schöne Wohnungen: eine im Salzburger Stadtteil Mülln
am Salzachufer und eine zweite in Thumersbach in traumhafter Lage am
Ostufer des Zeller Sees und unweit des Landgutes einer bekannten deutschen
Sportwagen-Dynastie. Natürlich schätzte sie diesen Besitz, den
sie nicht zuletzt ihrer wohlhabenden Mutter, einer echten Gräfin,
verdankte, aber zu Hause fühlte sie sich nur in Jacobis
Dachterrassenwohnung am Ignaz-Rieder-Kai.
Als sie dort den Schlüssel
in der Haustür umdrehte, hatte es sich Jacobi schon längst auf
der Büffelledercouch seines »Bibliothek« genannten
Wohnzimmers gemütlich gemacht. Im offenen Kamin knisterte das Feuer
auf zwei wuchtigen Holzbriketts, und eine Flasche Zweigelt/Blaufränkisch-Cuvée
war bereits dekantiert. Jacobi kaufte den Wein jedes Jahr persönlich
bei einem Winzer in Jois am Neusiedlersee.
Während Kotek duschte,
legte er schon einmal eine der Kassetten ins Abspielgerät. Sie war
mit »John Silver« beschriftet.
Einige Sekunden lang war außer
dem gedämpften Geräusch von Schritten auf Spannteppichen und
Sesselrücken nichts zu hören. Dann aber:
»Du weißt, warum
ich dich hab rufen lassen?«
»Kann’s mir
denken.«
»So, du kannst es dir
denken. Wenn du also weißt, dass du seit Wochen viel zu wenig Abschlüsse
machst, warum tust du dann nichts dagegen?«
»Warum soll ich mir
einen Haxen ausreißen, nur damit du schneller nach Linz in die
Zentrale kommst?«
Schon nach den ersten Worten
war Jacobi klar gewesen, wem jeweils welche Stimme gehörte und wo das
Gespräch stattfand: in Regenmandls Direktionsbüro. Schleißheimer
musste ein professionelles Gerät benutzt haben, um seinen Chef abzuhören.
Mit einem versteckten Handy wäre die Aufnahme nicht so klar gewesen.
»Mach dich nicht lächerlich«,
sagte Regenmandl. »Oder hast du etwa Angst, ich könnte Salli
nach Linz mitnehmen? Da kann ich dich beruhigen. Meinetwegen kann sie gern
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