Dohlenflug
Fredls Art, über Nacht wegzubleiben. Im Grunde seines Herzens
war er ein Schüchti, ein verschrobener Spießer –
abgesehen von seinen abnormen sexuellen Bedürfnissen. Weiß
… weiß man denn schon Näheres?«
Die Ermittler hatten sie mit
Argusaugen beobachtet. Sie war betroffen, kein Zweifel, aber meilenweit
davon entfernt, unter der Wucht der Hiobsbotschaft zusammenzubrechen.
Kotek berichtete mit der
gebotenen Rücksicht, unter welchen Umständen die Leiche Fredl
Schleißheimers aufgefunden worden war, unterschlug aber keine
wichtigen Details. Wieder verriet nichts an der Miene der Witwe, was sie
dachte oder fühlte.
Feuersang ließ ihr noch
ein paar Sekunden Zeit, bis er mit der Tür ins Haus fiel: »Sie
wissen, dass auch Sie zu den Verdächtigen zählen?«
Salma Schleißheimer
zuckte mit den Achseln. »Hätte mich gewundert, wenn nicht. Die
Ehepartner werden ja immer zuerst unter die Lupe genommen. Der Verdacht
ist trotzdem lächerlich. Ja, Fredl war nicht meine große Liebe,
aber ich mochte ihn. Er hat mich nach meiner ziemlich heftigen Jugend
regelrecht aufgefangen und war in unsren ersten Ehejahren ein rücksichtsvoller
und verlässlicher Partner. Dass seine wahre Passion minderjährige
Mädchen waren, wurde mir erst klar, als wir uns in puncto
Freizeitgestaltung längst arrangiert hatten.«
»Ein heikles Thema«,
warf Kotek ein. »Sie haben eine Tochter, wie wir wissen. Sie ist
dreizehn, fast vierzehn Jahre alt.«
»Ja, Chrissie ist unser
einziges Kind«, bestätigte Salma Schleißheimer kühl.
»Warum fragen Sie nach ihr?«
»Sie wissen, warum ich
frage. Wo ist sie?«
»Bei meiner Mutter. Da
ist sie oft.« Die Antwort war eine Spur zu schnell erfolgt –
und eine Spur zu atemlos.
Kotek ließ die
Abwesenheit von Christine Schleißheimer zunächst einmal auf
sich beruhen, formulierte dafür aber die nächste Frage sehr
direkt: »Lief da etwas zwischen Ihrem Mann und Ihrer Tochter?«
Salma Schleißheimer
lief weder rot an, noch gab sie die Empörte. »Chrissie ist auch
Fredls Tochter – nicht nur meine«, sagte sie ruhig und
beherrscht. »Und zu Ihrer Frage: Nein, da lief nichts. Nicht das
Geringste. Das hätte ich sicher bemerkt.«
»Hätten Sie tatsächlich?
Wo Sie doch Ihr eigenes Leben leben?«
»Ich hätte. Hören
Sie, Sie können mir ja viel vorwerfen, aber nicht, dass ich eine
schlechte Mutter bin. Da war nichts. Chrissie liebt ihren Vater. Mir graut
jetzt schon vor dem Augenblick, wenn ich ihr sagen muss, dass er nie
wiederkommen wird. Und Fredl liebte sie ebenso. Nie hätte er sich an
ihr vergangen. Für ihn war sie immer nur sein Kind, kein Objekt
seiner Obsession.«
»Schön gesagt,
aber leider gibt es durchaus Väter, die imstande sind, das eine mit
dem anderen zu vereinbaren.«
»Nicht Fredl. Für
Chrissie war er immer nur der Papa, nichts anderes. Ein sehr konsequenter,
berechenbarer Papa, auf den sie sich verlassen konnte.«
»Okay, Frau Schleißheimer.
Dann bleibt vorläufig nur mehr die Frage nach dem Alibi: Wo waren
Sie, als Ihr Mann ermordet wurde?«
»Dazu müsste ich
die Zeit wissen«, parierte Salma Schleißheimer den plumpesten
aller Verhörkniffe.
»Gestern Nachmittag
zwischen vierzehn und achtzehn Uhr.«
»Um vier Uhr waren wir
bei meiner Mutter. Sie hatte unsre Katze Stella für ein paar Tage in
Obhut genommen, die wollten wir abholen. Dann aber sind wir etwa
eineinhalb Stunden geblieben. Mama macht einen sehr guten Gugelhupf und
einen noch besseren Cappuccino.«
»Sie sprechen in der
Mehrzahl. Wer hat Sie begleitet?«
»Chrissie natürlich.«
»Natürlich. Und
Ihre Mutter kann das bestätigen.«
»Natürlich.«
»Gut. Trotzdem müssen
wir auch mit Ihrer Tochter sprechen. Wir sehen Sie und Ihre Tochter dann
morgen um zehn Uhr auf dem Hofgasteiner Gendarmerieposten. Sagen Sie Ihrem
Arbeitgeber Bescheid.«
»Muss das denn sein?
Chrissie wird morgen total fertig sein.«
»Es muss«, sagte
Kotek. »Wir werden eine Psychologin hinzuziehen –« Die
weltbekannten ersten Takte aus dem dritten Satz von Robert Schumanns
vierter Sinfonie unterbrachen sie. Sie zückte ihr Handy. »Oliver,
was ist?« Sie hörte eine Weile zu. »Okay, ja, mach das.
Und gute Besserung.« Sie legte auf und blickte nach oben.
»Werner!«
Werner Wegener erschien am
oberen Ende der Freitreppe. »Was gibt’s?«
»Du musst allein
zurechtkommen. Oliver ist mit
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