Dohlenflug
»Wen meinten Sie mit wir?«
Marageter zuckte mit den
Achseln, wich der Frage aber nicht aus. »Ich habe Lotte, Salli,
Johnny und mich gemeint, die vier Personen, die Sie besonders verdächtigen.
Aber niemand von uns hat etwas mit Fredls Tod zu tun. Auch ich nicht.
Welches Motiv hätte ich denn noch haben sollen, Fredl was anzutun?«
»Mit dieser Frage
werden sich Forensiker und Schriftsachverständige befassen. Sie
werden auch die Unterschrift auf Ihrer Kreditbewilligung überprüfen.«
Koteks Blick schweifte zu Regenmandl, der eben dabei war, sich anzuziehen.
»Vorläufig interessiert uns nur, wo Sie am Samstag von vierzehn
bis achtzehn Uhr waren.«
»Mit meinen Kumpels in
der Rotkreuz-Zentrale Gastein. Wir haben unserm speziellen Rotkreuz-Wagen
den letzten Schliff für das Erntedankfest verpasst und danach noch
ein paar Bier gezischt. Vier oder fünf Personen können das
bezeugen, und zwei weitere hatten außerdem Bereitschaftsdienst.«
Paul Marageter war die Ruhe selbst.
»Sie hatten noch Zeit für
diese Art rustikaler Vergnügung – trotz Ihrer finanziell
angespannten Lage?«
»Erstens ist meine
finanzielle Situation schon seit Freitag nicht mehr angespannt, das haben
Sie ja selbst gehört, und daran wird auch Ihre Verschwörungstheorie
nichts ändern können. Zweitens gehört Klappern nun einmal
zum Geschäft, und drittens sind Geschmäcker und Ohrfeigen
bekanntlich verschieden. Sonst noch Fragen?«
»Was war der Grund
Ihres heutigen Besuchs bei Frau Heinrich? Die Kreditfrage war ja angeblich
bereits geklärt.«
»So wie Johnny auch
habe ich mir eine chronisch schmerzende Sportverletzung von Lotte
behandeln lassen. Sie kann das besser als jeder Arzt. Dass Johnny und ich
uns immer am Montag massieren lassen, das ist übrigens kein Zufall.
Johnny, Alex – ich meine Notar Dr. Czerwenka – und ich trinken
nach der Therapie immer noch ein Glaserl mit Lotte. War’s das jetzt?«
»Vorläufig. Ihre
Angaben werden überprüft, das weitere Prozedere kennen Sie ja.
Kommen Sie dann morgen Nachmittag auf den Posten und unterschreiben Sie
Ihre Aussage, sie liegt bis dahin schriftlich vor. Jetzt können Sie fürs
Erste gehen.«
Das ließ sich Marageter
nicht zwei Mal sagen. Sekunden später eilte er durch den strömenden
Regen zu seinem Wagen.
Feuersang sah ihm durchs
Fenster nach. »Für ihn geht es noch immer um wahnsinnig viel«,
sagte er versonnen. »Der Überbrückungskredit bewirkt
vielleicht eine vorübergehende Entschärfung seiner Probleme,
aber nicht deren Lösung. Angesichts solcher Perspektiven bin ich mit
meinem Job mehr als zufrieden, vorausgesetzt natürlich, ich kann
eines Tages meine Pension genießen.«
Kotek hatte den
Haussuchungsbescheid für Marageters Wohnung und die von ihm
gepachteten Objekte zwar in der Tasche, verschob die Durchführung
aber auf den nächsten Tag. Stubenvoll und seine Leute rotierten
ohnehin schon, es wäre falsch, sie zu überfordern.
Sie wandte sich an die
Hausherrin: »Frau Heinrich, ist es möglich, sich in einem
anderen Raum etwas entspannter hinzusetzen, als hier so steif
herumzustehen?«
Erst jetzt fand sie
Gelegenheit, die Frau näher in Augenschein zu nehmen. Die Bachblüten-Lotte
war eine zierliche, gut proportionierte Frau. Ihr volles aschblondes Haar,
zu einer auffälligen Frisur hochgeföhnt, milderte die scharf
konturierten melancholischen Gesichtszüge. Kotek wusste, dass sie
etwas jünger als Salma Schleißheimer war, fand aber, dass sie
älter aussah. Vermutlich hatte das Leben sie ungleich härter
rangenommen als ihre Freundin. Was verband die beiden so unterschiedlichen
Frauen nur?
»Bitte, kommen Sie doch
in meine Privaträume«, sagte Lotte Heinrich. Sie hatte eine
sympathische dunkle Stimme mit eigenartigem Timbre. Eigenartig waren auch
Stil und Flair ihrer Wohnküche, in die man nun hinüberwechselte.
Die Beamten wussten nicht so recht, ob sie den Raum mit seinem uralten
gemauerten Herd, den dunkel gebeizten Bauernmöbeln und all den
skurrilen Accessoires an den Wänden als anheimelnd oder unheimlich
bezeichnen sollten.
Zweifellos hätte die
Stube jedem Gruselfilm als Kulisse dienen können. Sogar die
obligatorischen ausgestopften Raben und Waldkäuze fehlten nicht, und
an allen möglichen und unmöglichen Stellen befanden sich die
Totems: Totems in Form von Wandmalereien, von geflochtenen Bändern,
als
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