Dohlenflug
»Was sagt man dazu:
Ein Nachbar der Schleißheimer hat gestern Abend auf dem Nachhauseweg
vom ›Laféner Stüberl‹ den Range Rover
Regenmandls gesehen. Er parkte am Beginn der Dorngasse.«
»Dorngasse?«,
fragte Melanie Kotek stirnrunzelnd.
»Die Straße, in
der das Haus der Schleißheimer liegt«, half ihr Feuersang auf
die Sprünge. »Und die Beobachtung wurde exakt zu der Zeit
gemacht, als Donatella Hojasch den Einbruch bei den Schleißheimers
bemerkt haben will.«
»Aber warum sollte
Regenmandl in Salma Schleißheimers Haus einbrechen? Dazu hat er doch
wahrscheinlich jederzeit Zutritt. Sie selbst hat gestern unmittelbar vor
unserer Verabschiedung gesagt, sie würde ihn gleich anrufen, um sich
von ihm trösten zu lassen.«
Feuersang war kein heuriger
Hase. »Sie hat ihn angerufen, und die Folgen sind uns bekannt«,
sagte er mit einem bezeichnenden Seitenblick auf Simcits. »Dann fuhr
sie weg – ob wirklich zu ihrer Mutter, ist im Moment zweitrangig.
Dass sie aber im Begriff war wegzufahren, hat sie Regenmandl gegenüber
sicher erwähnt. Vielleicht wollte er die Geliebte bei der Suche nach
den gestohlenen Unterlagen ja nicht dabeihaben und hat dreist die
Gelegenheit genützt. Ich wette, er hat einen Schlüssel zu Schleißheimers
Heim.«
»Sollte er dessen Büro
in Abwesenheit der Witwe durchwühlt haben, hätte es sich demnach
nur um unbefugten Zutritt gehandelt und nicht um Einbruch«, präzisierte
Kotek.
Feuersang blickte
hilfesuchend an die Decke. »Ob Einbruch oder unbefugter Zutritt
– spielt das jetzt eine Rolle? Für uns zählt doch nur,
dass er dort gewesen sein könnte.«
»Umso mehr befremdet es
mich, dass die Hofgasteiner Kollegen sein auffälliges Auto nicht
bemerkt haben wollen.«
»Sie haben es sicher
bemerkt, sich aber nicht darüber gewundert. Salli Schleißheimer
erfährt, dass ihr Mann ermordet worden ist, und natürlich ruft
sie da sofort den Geliebten an. No na! Und der fährt zu ihr, aus
welchen Gründen auch immer. Verstehst du? Man rechnet damit, dass er
sie besucht. Weshalb sollte man ihn dann mit einem Einbruch bei ihr in
Verbindung bringen?«
»Eins zu null für
dich, Leo. Ich glaube, sobald Olivers Leute endlich da sind, können
wir für heute unsere Zelte hier abbrechen. Er hat zwei Mann für
Regenmandls Villa abgestellt, denn so schnell sind sie auf dem Laderdinger
Alpl wohl nicht fertig. Für uns wird es Zeit, mit der Bachblüten-Lotte
ein paar Takte zu reden. Übrigens brauchen wir auch dort die Spusi.«
»Ich hab Stubi schon
Bescheid gesagt, aber er rotiert schon. Können wir nicht endlich was
essen? Es ist doch gleich zwei. Ich hab einen Mordskohldampf.«
Kotek grinste mitfühlend.
»Ich versprech’s, nach der Vernehmung der Heinrich gehen wir
essen, wohin auch immer du willst.«
10
DAS BLOCKHAUS der Bachblüten-Lotte
befand sich in der Nähe des Präau-Gutes zwischen der Ortschaft
Luggau und Dorfgastein. Erbaut hatte es ursprünglich Karl Heinrich,
auch Wuschzn-Charly genannt, der Vater von Lotte Heinrich. Melanie Kotek
rekapitulierte auf der Hinfahrt, was ihr Matthias Höllteufel über
das Haus und seine Besitzer erzählt hatte.
Vor eineinhalb Jahrzehnten
hatte Karl Heinrich mit der jüngeren Tochter Steffi bei Nacht und
Nebel Österreich verlassen. Es hieß, er wollte seinen vielen Gläubigern
entkommen. Zuvor aber hatte er seinen einzigen Besitz, das Blockhaus auf
dem kleinen Fleck zwischen den beiden Präauer Wiesen, mündelsicher
der damals sechzehnjährigen Tochter Lotte überschrieben. Jahre
später ließ diese die Fundamente teilweise neu aufmauern und
das morsche Gebälk bis zum Giebel ersetzen, doch der romantische
Charakter von einst war im Großen und Ganzen erhalten geblieben.
Wuschzn-Charly war ein
begnadeter Holzschnitzer und Tierpräparator gewesen. Eine
Krampus-Larve vom Wuschzn-Charly steigerte in der Perchten-Szene den Stolz
des Besitzers und den Neid der weniger Glücklichen.
Für Jäger und
Haustierbesitzer beiderlei Geschlechts galt Ähnliches. Die einen ließen
Teil- oder Vollpräparate bei ihm anfertigen, um sich für immer
an ein intensiv empfundenes Jagderlebnis zu erinnern, die anderen den
dahingegangenen Liebling ausstopfen, um ihn so vor dem Vergessen zu
bewahren.
So gesehen hätte
Heinrich aufgrund seiner Fähigkeiten ein wohlhabender Mann sein können.
Hätte. Denn unseligerweise war
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