Dohlenflug
Wagen zurück und parkte wieder zwischen Range Rover und
dem dritten Pkw ein, einem Toyota Auris 2,0 D-4D. Der Toyota stand als
einziges der drei Autos unter einem Carport, vermutlich gehörte er
der Hausherrin.
Während Kotek
angelegentlich dem Parkmanöver zusah, fiel ihr der unschöne
Kratzer an der rechten D-Säule des Range Rover auf.
»Bitte, nach Ihnen«,
sagte sie mit begleitender Geste zu Marageter. Sie und Feuersang waren
bereits ausgestiegen und warteten vor der überdachten Haustür
auf ihn.
Mit sichtlichem Widerwillen
kam Marageter der Aufforderung nach. Er drückte die Klinke mit der
linken Hand nieder und betrat vor den Ermittlern den Hausflur. Auf der
schwarz gebeizten Tür links vom Eingang prangte ein blank poliertes
Messingschild mit der Aufschrift »Ordination«. Auf der weißen
Tür rechts stand auf einem roten Emailschild »Privat«.
Marageter wandte sich nach links und öffnete die Tür.
Der Raum sah aus wie eine
physiotherapeutische Praxis. An den Wänden standen schmale weiße
Kommoden und Glaskästen, die diverse medizinische Utensilien
enthielten. Nur in einem Punkt unterschied sich dieser Behandlungsraum von
anderen: Die weißen Rigipswände waren mit indianischen
Totem-Zeichen bemalt, deren Sinn sich dem Uneingeweihten entzog.
Ein überladener
Schreibtisch samt Bürosessel nahm die hintere Hälfte des Raumes
ein, während vor dem sichtgeschützten Frontfenster eine weiß
bezogene Liege stand. Auf ihr lag bäuchlings ein etwa fünfzigjähriger
korpulenter Mann in Boxershorts und schwarzen Socken. Eine Blondine in
Koteks Alter, nur mit Slip und T-Shirt bekleidet, knetete seinen Rücken,
wobei ihre spitzen Brüste und die Frisur, die an eine Schirmakazie
erinnerte, im Takt der Bewegungen hin und her wippten. Das Gesicht des
Mannes war der Tür zugewandt, eine martialische Augenklappe bedeckte
sein linkes Auge.
Die Klappe, der stechende
Blick des rechten Auges, die kühne Nase und das schüttere
schwarze Haar ließen keine Zweifel offen, wie Jean Pierre Regenmandl
zu seinem Spitznamen John Silver gekommen war.
»Grüß Gott,
Frau Heinrich. Hallo, Herr Regenmandl. Der Termin beim Notar muss aber
flott erledigt gewesen sein«, sagte Kotek, die mit ihrem Ärger
nicht hinterm Berg halten konnte.
»War er auch«,
bestätigte Regenmandl rotzig. »Können Sie nicht wie
zivilisierte Menschen draußen warten, bis wir hier fertig sind?«
»Der österreichische
Staat hat lange genug auf Sie gewartet, Herr Regenmandl. Ziehen Sie sich
jetzt augenblicklich an und stehen Sie uns dann zur Verfügung,
andernfalls werde ich Ihnen Handschellen anlegen lassen, und Sie kommen
direkt in Untersuchungshaft.«
Koteks dunkle Augen blitzten
zornig. »Was denken Sie sich eigentlich?«, legte sie noch
nach. »Glauben Sie allen Ernstes, wir lassen uns vom Filialleiter
einer Provinzsparkasse wie Schulkinder vorführen? Von einem
Filialleiter, der noch dazu schwer tatverdächtig ist?«
Der Gescholtene öffnete
schon den Mund zu einer geharnischten Replik, da erhielt Kotek Schützenhilfe
von einer Seite, von der sie nicht zu erwarten gewesen war. Paul Marageter
trat einen Schritt vor. »Sei doch nicht so stur, Johnny«,
sagte er beschwichtigend. »Wozu musst du dich unbedingt mit der
Kiwerei anlegen? Wir haben doch nichts zu verbergen, oder? Wozu also
Schwierigkeiten machen?«
Während sich Regenmandl
von der Liege erhob, kräuselten sich seine Lippen verächtlich.
»Ah, jetzt, wo du den
Kredit hast, gibst du wieder den coolen Blaulicht-Pauli, was? Das ist
typisch für dich.«
»Erstaunlich«,
hakte Kotek blitzschnell nach. »Sie haben den Kredit also doch noch
bekommen, Herr Marageter? Obwohl Ihnen Alfred Schleißheimer kürzlich
eine endgültige Absage erteilt hat.«
Marageter blinzelte nicht
einmal. Er wusste also von den Abhörprotokollen. »Fredl hat es
sich letzten Freitag Gott sei Dank anders überlegt und mir doch noch
einen Überbrückungskredit gewährt«, sagte er, ohne
auch nur eine Sekunde zu zögern.
Feuersang grinste breit.
»Wie praktisch, wenn die Kontrollorgane der Linzer Sparkasse seine
Unterschrift unter der Bewilligung sehen. Die Unterschrift eines Toten,
der wegen fahrlässiger Kreditvergabe nicht mehr zur Verantwortung
gezogen werden kann.«
»Sie sagten vorhin:
›Wir haben doch nichts zu verbergen‹«, schaltete sich
Kotek wieder ein.
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