Dohlenflug
Packen half, erreichte Kotek der erwartete Anruf von
ihrem Lebensgefährten.
Die am Notariat hinterlegten
Dokumente hatten bestätigt, was die Ermittler vermutet hatten: Julie
Heinrich war als Alleinerbin ihrer Mutter Charlotte eingesetzt worden. Und
sollte ihre Tante Stefanie eines Tages nach Gastein zurückkehren und
die Hälfte des Tierpräparator-Häusls einfordern, so
bedeutete das für Julie keinen Beinbruch, denn sie hatte zudem noch
Anspruch auf einen Pflichtteil der Hinterlassenschaft von Hans Häuslschmied.
Der beglaubigte Nachweis seiner Vaterschaft war in einem von ihm selbst
handschriftlich verfassten und an die Kindsmutter gerichteten Brief ausdrücklich
anerkannt worden und damit unanfechtbar.
Dr. Czerwenka hatte sogar
noch zeitlich länger zurückliegende Verfügungen vorgelegt,
ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Ehe Karl Heinrich, vulgo
Wuschzn-Charly, und seine jüngere Tochter Stefanie Österreich
ohne Angabe eines Reiseziels verlassen hatten, waren tags zuvor noch die
Hypothek auf dem Tierpräparator-Häusl mit dem Erlös aus dem
Innviertler Erbe getilgt und die Besitzrechte auf beide Töchter
übertragen worden.
»Als Vormund wurde
Alexander Czerwenka eingesetzt«, kam Jacobi schließlich zum
Ende, »nachdem klar gewesen war, dass zumindest Karl Heinrich nicht
nach Gastein zurückkehren würde. Zeugen waren der alte Czerwenka
und Regenmandl. Beide waren auch zwei Jahre später anwesend, als die
verwaltete Habe statutengemäß an die volljährige Charlotte
ausgefolgt wurde. Alles hieb- und stichfest. Julie ist zwar jetzt
Vollwaise, aber mit ihren jungen vierzehn Jahren immerhin ein wohlhabender
Teenager. Ich werd anregen, dass Czerwenka auch ihre Vormundschaft übernimmt,
er hat ja immerhin schon Übung darin. Das war’s von meiner
Seite. Und, hast du bei der Häuslschmied Erfolg gehabt?«
»Hab ich«, bestätigte
Kotek kurz. »Wir fahren gleich los. Das bewusste Thema hab ich
allerdings noch ausgespart, ich wollte den Bogen nicht überspannen.«
»Völlig in
Ordnung. Du bestimmst den richtigen Zeitpunkt. Also, halt die Ohren steif
und melde dich im Naßfeld, auch dann, wenn du dich wieder auf den
Weg machst. Versprichst du’s? Und willst du dir das Ganze nicht
überhaupt noch einmal durch den Kopf gehen lassen?«
»Warum denn jetzt so plötzlich?
Das Ganze war doch deine Idee.«
»Schon, aber das miese
Wetter beunruhigt mich. Genau solche Unwägbarkeiten haben uns früher
schon in haarige Situationen gebracht.«
»Uns? Du meinst wohl
eher, dich haben sie in haarige Situationen gebracht.«
»Das sind doch
Wortklaubereien. Außerdem muss ich spätestens morgen früh
in Wien bei diesem blöden Kongress sein. Vielleicht nehme ich auch
lieber den Intercity heut Abend. Ich könnte jedenfalls ruhiger
schlafen, wenn du die Aktion ›Mäusespeck‹ um ein paar
Tage –«
»Du? Angst? Du, Oskar
Jacobi? Das muss ich mir direkt aufschreiben. Mit Datum! Wer war denn in
früheren Jahren für seine Alleingänge berüchtigt, und
wer predigt denn immer, die ersten drei Tage seien für den Erfolg von
Ermittlungen entscheidend?«
Jacobis Schnaufen war
deutlich zu hören. »Ich hab doch nicht Angst um mich, Melli,
sondern davor, dass du in Versuchung gerätst, auch so einen
Alleingang zu wagen.«
»Soll ich etwa einen
Zug Alpingendarmen nach Böckstein bestellen, willst du das? Nur ein Mörder
mit der Intelligenz einer Amöbe würde dann noch anbeißen.«
»Aber auf der anderen
Seite besteht auch kein Grund, Lara Croft oder sonst irgendeine Kampfkatze
raushängen zu lassen. Ich habe das ungute Gefühl, dass dich das
Jagdfieber gepackt hat. Vergiss bitte nicht, dass du es hier nicht mit
einem Hasen zu tun hast. Der Mörder von Schleißheimer und Lotte
Heinrich ist ein Wolf, den zu unterschätzen weitere Leben kosten könnte.
Und das ist bei Gott keine Floskel.«
»Okay, Katzenbär,
ich verrate dir jetzt mal etwas, damit du meinetwegen nachts keine Albträume
haben musst: Ich werde heute Abend zwar keine Hundertschaft in Böckstein
postieren, aber immerhin zwei Typen, auf die auch du dich blind verlassen
würdest. Leo und Lenz werden sich in Böckstein einquartieren und
abwechselnd ein Auge auf die Naßfelder Straße haben –
die ganze Nacht hindurch.«
»Puh, Überstunden
für zwei so teure Leute. Das kostet wieder.«
Doch Kotek merkte seiner
Stimme an, wie
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