Dohlenflug
Städtchens, er konzentrierte
sich ausschließlich auf seinen Auftrag und ließ den A4 langsam
über den bezaubernden Marktplatz von Tittmoning rollen. Unmittelbar
nach dem nördlichen Stadttor bog er nach rechts ab und wechselte zurück
ans österreichische Ufer der Salzach.
Der Landstrich Ettenau war
ihm mehr als vertraut, nicht zuletzt deshalb, weil die Mutter seiner Frau
von hier stammte. Als Marianne und er vor mehr als zehn Jahren – sie
waren damals noch verlobt gewesen – das Elternhaus der Mutter
besuchten, befand sich der Onkel von Marianne gerade im Clinch mit einem
Anrainer, einem der größten Au-Bauern. Ausgerechnet dessen jüngster
Sohn hatte einige Monate zuvor im Nachbardorf bei einer Wirtshausrauferei
einen Mann erschlagen und Mariannes Cousine, die dort kellnerte und Zeugin
der Bluttat geworden war, musste gegen ihn aussagen, was das
Nachbarschaftsverhältnis nicht eben verbesserte.
Redl hatte zwar im gebirgigen
Pinzgau seine Wurzeln, aber er mochte diesen von der Eiszeit geformten
Landstrich der Voralpen mit seinen Schilffeldern, den Weiden- und Erlenwäldern
und den von mächtigen Dämmen geschützten Wiesen und Äckern.
Und zwar nicht nur, weil er so unglaublich romantisch war und er mit
seiner Frau hier schöne Stunden verbracht hatte, sondern weil er auch
fest daran glaubte, in einem früheren Leben mit der Au verbunden
gewesen zu sein.
Bei heiterem Wetter war um
diese Jahreszeit die Luft voll von späten Schmetterlingen und anderen
Fluginsekten, doch an diesem Tag zeigte sich die Ettenau von ihrer
unwirtlichen, tristen Seite.
Nach dem Jarl-Bauern und der
Schwaig endeten die bewirtschafteten Flächen am kilometerlangen
Salzachdamm. Der mit Schlaglöchern übersäte, ungeteerte
Feldweg, dem die Bezeichnung »Landstraße« eindeutig
schmeichelte, führte über die Dammkrone in die eigentliche Au
hinunter.
Der ehemalige MEK-Beamte benötigte
keine detaillierte Ortsangabe oder gar ein Navi, um Regenmandls Blockhaus
zu finden. Von der Ostermiethinger Au bis hinunter zur Gemeindegrenze von
Ach bei Burghausen gab es nur ein einziges derartiges Gebäude im
Au-Schwemmland innerhalb des Schutzdamms, und dessen Standort war ihm
bekannt.
An der Abzweigung dorthin
fuhr er vorbei und ließ den Wagen ein Stück weiter vorn stehen,
kurz vor einer Holzbrücke über die Enzerling, einen Zufluss zur
Salzach. Bedenken, frühzeitig aufzufallen, hatte er nicht, denn in
der Au waren immer wieder mal Jäger, Fischer, Naturschutzbeauftragte
und nicht zuletzt Beamte der Fremdenpolizei unterwegs.
Wie schon im Morgengrauen auf
dem Laderdinger Alpl näherte er sich trotz des starken Regens zu Fuß
seinem Ziel.
Ehe er ins Sichtfeld des
Blockhauses geriet, verließ er den Trampelpfad und bahnte sich
zwischen den dicht stehenden Weiden im meterhohen Schilf den Weg. Bereits
nach den ersten Schritten war seine Outdoor-Hose bis zum Gürtel
durchweicht, aber solche Kleinigkeiten berührten einen Naturburschen
wie Redl nur am Rande.
Der erste freie Blick auf das
einem Bungalow ähnelnde Holzhaus ließ ihn allerdings auf
weiteres umständliches Heranpirschen verzichten, und er kehrte wieder
auf den Trampelpfad zurück.
Ein roter Golf parkte vor dem
Gebäude. Redl zückte sein Handy und gab eine Kurznummer ein.
Kotek, die eben im Begriff war, mit Amanda Häuslschmied und Tina
Hohenauer ins Gasteiner Naßfeld zu fahren, hob sofort ab.
»Ja, Lenz?«
»Ich bin jetzt in der
Ettenau nördlich von Ostermiething und stehe vor dem Blockhaus von
Regenmandl. Die Spur ist heiß. Der Golf seiner Haushälterin
steht vor dem Haus, aber seinen Range Rover kann ich nicht entdecken. Ich
gehe jetzt rein und melde mich später.« Er legte auf.
Als er mit der Glock 34 in
der rechten Hand die Stufen zur umfriedeten und überdachten
Holzveranda hinaufstieg, öffnete sich die Haustür. Eine gut
gebaute brünette Enddreißigerin mit Pagenfrisur trat heraus und
verwehrte ihm den Zutritt.
»Er ist nicht hier, und
Ihre Kanone können Sie gleich wieder einstecken«, sagte Vesna
Simcits unaufgeregt, doch ihre Stirn war nachdenklich gerunzelt.
Redl zog überrascht die
Augenbrauen hoch, steckte aber die Pistole tatsächlich in das Holster
zurück. »Aha? Aber eigentlich kann nur der Mörder wissen,
dass ich nicht der Mörder bin«, gab er sich sophistisch, während
er seinen Ausweis aus einer Innentasche der Windjacke
Weitere Kostenlose Bücher