Dohlenflug
nestelte.
Vesna Simcits winkte ab.
»Lassen Sie stecken. Seit dem Bürgerkrieg in Bosnien weiß
ich, wann ich einem von den Guten gegenüberstehe und wann nicht. Dass
Sie ein Kiwerer sind, das sieht man doch auf den ersten Blick. Und dass
ich der gesuchte Killer sein könnte, das ist einfach nur Blödsinn.«
Inzwischen hatte es Redl
geschafft, den Ausweis herauszuziehen. »Ich bin Gendarmeriemajor
Lorenz Redl und suche Jean Pierre Regenmandl, den flüchtigen
Filialleiter der Linzer Sparkasse Bad Hofgastein.«
»Er ist nicht flüchtig«,
korrigierte Simcits ihn. »Jemand hat ihm nahegelegt, für einige
Tage von der Bildfläche zu verschwinden – so hab ich’s
jedenfalls verstanden. Seit neun Uhr vormittags bin ich schon hier und
warte auf ihn. Erst dachte ich ja, er wäre ins Dorf hinaufgefahren,
also nach Sankt Radegund. Dort oben kennt man ihn allerdings, und wenn
jemand – wie er sich am Handy ausdrückte – aus der
Schusslinie verschwinden will, dann wird er sich nicht ausgerechnet bei
den Einheimischen sehen lassen, wenn er klug ist.«
Ihre Stimme zitterte. Also
ist sie doch nicht so cool, wie sie sich gibt, dachte Redl. Das spricht
eigentlich für sie, weniger jedoch für den Gesuchten.
»Frau … äh
…?«
»Simcits«, half
die Bosnierin seinem Gedächtnis auf die Sprünge.
»Gut, Frau Simcits,
haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich im Haus mal ein wenig umsehe? Nicht
aus Misstrauen gegen Sie«, fügte er rasch hinzu, »ich möchte
nur gewisse Eventualitäten ausschließen. Vielleicht findet sich
dabei ja auch irgendein Hinweis auf Herrn Regenmandls Verbleib.«
»Das glaube ich zwar
nicht, aber solange ich dabei sein darf, bitte – nur zu.« Sie
trat zur Seite, um ihn einzulassen.
»Haben Sie sich bei den
Anrainern in der Schwaig schon nach dem Range Rover erkundigt?«,
fragte er, während er den Lärchenparkettboden in der rustikal
gestalteten Blockhaus-Maisonette Zentimeter für Zentimeter in
Augenschein nahm. »An denen muss doch jeder Au-Besucher vorbei.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, ich habe mich an Jean Pierres Anweisungen gehalten und mich
bei niemandem sehen lassen.«
Weder am Boden noch sonst wo
in der Wohnung deutete irgendetwas auf eine Gewalttat hin, das war
jedenfalls Redls erster Eindruck.
»Wie lange sollen Sie
hier auf ihn warten?«, wollte er wissen, als er mit ihr aus einem
der beiden Bäder zurückkehrte. Wieder war die Antwort eine
energisch verneinende Geste.
»Von Warten war nie die
Rede. Ich sollte Essen für drei Tage kaufen und möglichst unauffällig
herkommen. Nach dem, wie das Gespräch verlaufen war, musste ich
annehmen, ihn bei meiner Ankunft hier vorzufinden.«
»Hm.« Redl hielt
es nicht für nötig, die Frau an seinen Überlegungen
teilhaben zu lassen.
Für Regenmandls
Fernbleiben kamen mehrere Möglichkeiten in Betracht. Vesna Simcits
selbst konnte ihn zum Beispiel ermordet und seine Leiche versteckt haben.
Eine Theorie, die ziemlich weit hergeholt war, wie sich Redl selbst
eingestand. Wesentlich wahrscheinlicher war doch, dass Regenmandl mit der
Order an seine Haushälterin eine falsche Spur gelegt hatte, entweder
aus Angst, oder weil er der zweifache Mörder war. Dass Regenmandl von
Dritten ermordet und seine Leiche irgendwo im Altwasser versenkt worden
war, noch ehe Simcits die Ettenau erreicht hatte, war eine weitere
Theorie. Die harmloseste Möglichkeit, er könnte in St. Radegund
beim Dämmerschoppen sitzen, schloss Redl umgehend durch Anrufe bei
den zwei Dorfwirtshäusern aus. Anschließend kontaktierte er
noch einmal die Kollegin Kotek und stellte den Lautsprecher seines Handys
auf Mithören.
»Hallo, Melanie, willst
du erst die gute Nachricht oder die schlechte hören?«
»Spann mich nicht auf
die Folter, Lenz. Sag, was du für mich hast. Halt, warte, eine Minute
noch, ich hab noch was zu erledigen.«
Kotek hatte auf der Naßfelder
Alpenstraße eben die Abzweigung zum Gasteiner Heilstollen passiert
und hielt nun an der Mautkontrolle. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis,
dass der korpulente Kassier weder sie noch ihre beiden Beifahrerinnen zu
kennen schien. Sie war sehr vorsichtig vorgegangen, hatte bewusst nicht
die Direttissima von Hofgastein nach Böckstein genommen, sondern war
von Bad Bruck aus einen Umweg über den Laterndl-Wald in Richtung Kötschachtal
gefahren und hatte sogar Zwischenstopps
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