Dohlenflug
eingelegt, um etwaige Beobachter
oder Verfolger auszumachen, hatte allerdings niemanden entdeckt, der auch
nur ganz entfernt als Spion in Frage gekommen wäre.
Das Handicap lauerte
woanders: Aufgrund des starken Schneefalls hatte die Straßenverwaltung
die Gasteiner Alpenstraße gesperrt, sodass der Kassier eben im
Begriff gewesen war, sein Kontrollhäuschen dichtzumachen.
Kotek musste ihren Ausweis zücken
und ein vorgedrucktes Formular über eigenverantwortliche
Sonderfahrten unterschreiben, die nur Angehörigen von Behörden
und Gemeindebediensteten gestattet waren, erst dann durfte der Audi den
Posten passieren.
Bald ging es steil bergan,
und bereits zwei Minuten später brach sich das Motorengeräusch
in den Kolonnaden der ersten Lawinengalerie.
»So, jetzt bin ich
wieder dran. Lenz?«
»Wie zu erwarten war,
hab ich Frau Simcits im Blockhaus angetroffen«, gab Redl Auskunft, während
er den Blick nicht von der Genannten wandte. »Aber Regenmandl ist
nicht hier – obwohl er eigentlich hier sein müsste.«
Der Nachsatz nach der wohl
kalkulierten Pause verfehlte die erwartete Wirkung nicht: Simcits’
Augen füllten sich mit Tränen. Ein derartiger Gefühlsausbruch
konnte einfach nicht gespielt sein.
»Du meinst, er hat uns
aufs Eis geführt? Oder könnte er selbst umgebracht worden sein?«,
ertönte Koteks Stimme aus dem auf Mithören gestellten Handy, und
Vesna Simcits schluchzte laut auf.
»Nein, nein, nicht
Johnny! Nicht Johnny!« Sie tastete nach einem Sessel und musste sich
setzen.
Obwohl Redl mit einer ähnlichen
Reaktion gerechnet hatte, war er nun doch überrascht. Diese Frau
hatte nach eigener Aussage den jugoslawischen Bürgerkrieg miterlebt,
und jetzt wurden ihr die Knie weich? Entweder liebte sie Regenmandl trotz
aller erlittenen Demütigungen noch immer abgöttisch, oder sie
war eine verkannte Schauspielerin.
»Ich melde mich später
wieder, Melanie.« Er legte auf und wandte sich nach einer exakt
bemessenen Pause an die Haushälterin. »Frau Simcits, können
Sie uns wirklich nicht weiterhelfen?«
Seine Stimme klang
einschmeichelnder als die von Julio Iglesias, als er ihr ein
Papiertaschentuch reichte. Sie schnäuzte sich geräuschvoll und
knüllte es dann krampfhaft zusammen. Schließlich deutete sie
fahrig auf eine Schwarzwälder Kuckucksuhr, die an der vertäfelten
Wand über einer Sitzgruppe aus Ahornholz hing.
»An der Rückseite
ist eine CD angeheftet.« Redls fragender Blick veranlasste sie
weiterzusprechen: »Schon vor zwei Jahren hat Johnny mir in einer
schwachen Stunde gesagt, ich soll die CD den Behörden übergeben,
falls ihm eines Tages etwas Ernstes zustößt. Auf dem Datenträger
soll eine Art Vermächtnis gespeichert sein – für den Fall,
dass er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann.«
»Sie kennen den Inhalt?«,
fragte Redl.
Vesna Simcits errötete
und senkte den Blick. »Nur in sehr groben Zügen«, flüsterte
sie. »Nach … nach dem Tod von Johnnys Frau habe ich mir tatsächlich
Hoffnungen gemacht, eine größere Rolle in seinem Leben zu
spielen als nur die der Gelegenheitsmatratze und kostengünstigen
Haushälterin. Aber ich hatte nicht mit Sallis wiedererstarktem
Einfluss gerechnet.«
»Sie meinen Salma
Schleißheimer, die Witwe des ermordeten Bankangestellten Schleißheimer?«,
vergewisserte sich Redl, der die Namen in Melanie Koteks Fall nach wie vor
noch nicht verinnerlicht hatte.
»Ja, genau die Schnalle«,
bestätigte Simcits gehässig. »Zu Lebzeiten von Edda,
Johnnys Frau, hatte sie nicht viel zu melden gehabt. Im Gegenteil: Da
schien sich Johnny des Gspusis mit ihr sogar zu schämen. Und
mittlerweile weiß ich auch, warum. Egal, jedenfalls verfiel er Salli
nach Eddas Tod wieder mit Haut und Haaren, obwohl er auch Angst vor ihr zu
haben schien. Hätte er die nicht gehabt, hätte er mir nicht
ausgerechnet zu jener Zeit diesen vertraulichen Hinweis gegeben.«
»Nämlich welchen?«
»Er verriet mir, wo der
Zugangscode für die CD im Fall der Fälle zu finden ist: Der Code
ist die Produktnummer am hintersten Barrique-Fass im Kellergewölbe
seines Weinguts bei Heiligenbrunn.«
»Bei Heiligenbrunn?
Warum denn nicht gleich bei Bordeaux?«, entfuhr es Redl.
»Johnny traut niemandem«,
erklärte Vesna Simcits, und bei der Erinnerung an ihren eigenen
Verrat stiegen ihr erneut die Tränen in die Augen. »Auch mir
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