Dohlenflug
sich der Kassier an der Mautstelle
als Leck in ihrem Zeugenschutzprogramm und Plaudertasche erweisen sollte.
Kotek hatte nicht vor, sich länger
als nötig im Landhaus ihres Cousins aufzuhalten, sie wollte wieder
hinaus nach Böckstein, solange die Gasteiner Alpenstraße noch
einigermaßen befahrbar war.
Und wenn es tagelang
weiterschneite? Umso besser! Waren die zwei Frauen erst einmal
eingeschneit, würde das den Mörder – vorausgesetzt, er
wusste über den Aufenthaltsort der Häuslschmied Bescheid –
zwar nicht unbedingt vom Naßfeld fernhalten, aber seine Möglichkeiten
verringern, während das Wetter die Chance seiner Ortung erhöhte.
Kotek wusste, es war eine
Milchmädchenrechnung, die sie da anstellte, aber gleichzeitig erregte
sie die Vorstellung, mit dem Serientäter in einen makabren Wettstreit
zu treten, auf seltsame Weise. Jacobi hatte ihr Jagdfieber attestiert
– nicht zu Unrecht.
Während der Fahrt
strahlten die Scheinwerfer zufällig die Viehauser-Almhütte an.
Sie wirkte verschlossen und winterfest – wie es vermutlich die
meisten Naßfelder Hütten um diese Zeit waren. Durch die kleine
Ablenkung hätte Kotek beinahe die Rechtskurve hinauf zum
Ostermeyer-Landhaus übersehen.
Dann endlich hatte sie nach
der anschließenden kurzen Steigung das Ziel erreicht. Sie wendete
den Quattro auf einem leicht abschüssigen kleinen Plateau oberhalb
des Landhauses und zweier verfallener Gewerkschaftsgebäude und parkte
ihn in Falllinie vor der Gittertür in der steingemauerten
Gartenumfriedung.
Der massive Dachgiebel war
tatsächlich nicht höher als die aufgeschüttete Erdrampe
dahinter. Als Ersatz für das wegrasierte Obergeschoss hatte man vom
Beschauer aus rechts einen flachen, barackenähnlichen Seitentrakt
angebaut, in dem sich nun zwei Schlafzimmer befanden.
»Ich denke, wir tragen
zunächst das Gepäck und die Lebensmittel ins Haus«, schlug
Kotek vor. »Danach zeig ich euch die Räumlichkeiten, wir
kontrollieren Wasser, Strom und die Gasflaschen und versuchen dann ein
Feuer im Ofen zu machen. Wenn alles verstaut ist, keine Fragen mehr offen
sind und ihr es euch gemütlich gemacht habt, werde ich wieder fahren.
Hoffentlich schaffe ich es noch bis ins Tal und anschließend hinaus
nach Salzburg. Ach ja, und vielleicht sollten wir vorher auch noch den
Handyempfang überprüfen.«
Vom schmalen Flur in der
Mitte des eingeschossigen Hauses aus führte links eine Tür in
eine Wohnküche im Stil der fünfziger Jahre mit gusseisernem Herd
und rustikalen Möbeln aus Lärchenholz. Typisch für diese
Zeit: die Anrichte mit den Eisenbeschlägen, die Kredenz mit den
Butzenscheibenfenstern, die sehr einfach ausgeführte Sitzecke mit
Herrgottswinkel und das bequem aussehende Kanapee.
Durch die rechte Tür
gelangte man in eine gemütliche Bauernstube. Unter den beiden
Frontfenstern standen jeweils eine bemalte Gewandtruhe und ein weiteres
Sofa. Vor der hinteren Wand ragte ein Specksteinofen mit gemauertem Kamin
tief in die Mitte des Wohnzimmers hinein, und zwischen der Tür zum
Flur und dem Ofen schmiegte sich eine üppig gepolsterte Sitzecke in
den verbleibenden Raum, während ein mächtiger Bauernkasten den
Platz zwischen Ofen und rechter Seitenwand vollkommen ausfüllte. Nur
wenige Zentimeter davor führte die zweite Stubentür zu den
beiden Schlafzimmern im Anbau.
Zuletzt gab es noch zwei
hintere Räume zur Erdrampe hinaus, die als Speicher für alles Mögliche
gedacht waren, hauptsächlich aber für Gerätschaften und zur
Speisenaufbewahrung, genauso wie auch der aus den Felsen geschlagene
niedrige Keller Stauzwecken diente.
29
HOHENAUER SAH den sich
entfernenden Scheinwerferlichtkegeln durchs Fenster der warmen Stube nach,
bis sie vom Schneetreiben verschluckt wurden, bevor sie noch einmal
probierte, Oberst Jacobi auf dem Handy zu erreichen. Nach etlichen
vergeblichen Versuchen gab sie schließlich auf – wie schon
Melanie Kotek ein paar Minuten zuvor.
»Na ja, bei diesem
Wetter …«, murmelte die junge Gasteinerin achselzuckend.
»Ich muss wirklich
plemplem gewesen sein, als ich mich zu diesem … äh …
Abenteuer hab überreden lassen«, sagte die alte Frau hinter
ihr. Amanda Häuslschmied saß an der Stirnseite des massiven
Eichentisches neben der Stubentür und nestelte nervös an ihrer
Handtasche herum.
Ihre Großnichte verließ
den Fensterplatz und ging in
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