Dohlenflug
der zweite fast zeitgleich den Captain seitlich in
den Kopf. Während der US-Offizier sofort zusammensackte, wankte sein
Untergebener noch zwei Schritte zurück, ehe er die Goldbarren fallen
ließ und rücklings auf den Waggonboden stürzte.
Röck hatte die Nullacht
schon vor Stunden mit Isolierband am Strommasten befestigt, an der
Innenseite eines der breiten Eisenträger. So umsichtig die beiden GIs
auch sonst vorgegangen sein mochten: Es war ein entscheidender Fehler
gewesen, die Umgebung der Rampe nicht zu überprüfen.
Röck sah auf den ersten
Blick, dass der Captain tot war, und ging zum Waggon zurück. Der
Sergeant war ebenfalls tödlich getroffen, Blut quoll ihm aus dem
Mund. Seine rechte Hand nestelte noch fahrig am Halfter seiner
Armeepistole. Häuslschmied schob die Hand zur Seite und nahm die
Pistole an sich. Eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, denn
der Mann hatte nur noch wenige Minuten zu leben.
Röck sah den bekümmerten
Gesichtsausdruck seines Komplizen und rümpfte die Nase. »Was
denkst du denn, was die mit uns gemacht hätten, sowie das Gold
gebunkert gewesen wäre?«
»Schon gut,
wahrscheinlich hab ich in letzter Zeit nur zu viele Tote gesehen«,
beeilte sich Häuslschmied zu erklären.
»Was ist los?«,
brüllte der Lokführer vorn. »Was waren das für Schüsse?«
»Only warning shots!
Keep cool! Einer der Zugbegleiter hatte sich befreit!«, rief Röck
mit täuschend echtem amerikanischen Akzent zurück. »Keine
Sorge, alles läuft wieder nach Plan. Du kannst gleich fahren.«
»Spinnst du?«,
zischte Häuslschmied. »Da drinnen liegen noch fast zwanzig
Barren. Die müssen wir doch –«
»Die bleiben, wo sie
sind.« Die Stimme Röcks wurde nicht um ein Dezibel lauter.
»Oder willst du einen Achsenbruch riskieren? Der Ford hält
sicher was aus, aber achtzig Barren sind trotz Verstärkung der Ladefläche
der absolute Grenzwert. Und vergiss die fünf Leichen nicht. Die müssen
auch weg. Mehr als eineinhalb Tonnen sind dem alten Karren nicht
zuzumuten. Schon damit müssen wir sehr vorsichtig fahren, und du weißt
ja, wohin wir wollen.«
Häuslschmied fror, dabei
war die Nacht vom sechzehnten auf den siebzehnten Mai eher mild. Röck
dachte und handelte wie eine Maschine, die auch der Glanz des Goldes nicht
beeindrucken konnte, und er traf punktgenau. Unmittelbar nach der
Plackerei mit den Goldbarren hatte er dem Sergeant aus einer Entfernung
von acht Metern in den Hals geschossen – bei miserabelsten Lichtverhältnissen.
Auch der GI hatte inzwischen
den letzten Atemzug getan. Fünf Minuten später lagen alle
Leichen auf der Ladefläche des Ford, und die restlichen Goldbarren
waren wieder von unverdächtigen Heraklith-Platten bedeckt. Röck
steckte zwei Finger in den Mund und pfiff schrill. Sekunden später
setzte sich der Zug in Bewegung.
31
»UND WEITER? Was
geschah dann?«, fragte Tina Hohenauer mit hochrotem Kopf, nachdem
ihre Großtante den Bericht offensichtlich nicht mehr fortsetzen
wollte. »Wohin haben Onkel Hans und Siegfried Röck das Gold
gebracht? Von diesem Siegfried Röck hab ich übrigens noch nie
was gehört, auch wenn Röck ein recht häufiger Name im Tal
ist. Was ist aus ihm geworden?«
»Ich kann dir weder die
eine noch die andere Frage beantworten«, dämpfte Amanda Häuslschmied
die Wissbegier ihrer Großnichte, »und das ist auch besser so,
Tini. Falls irgendetwas schiefläuft, bin ich die einzige
Anlaufstation für diverse Begehrlichkeiten, diese Bürde will ich
nicht mit dir teilen. Mich aber kann so schnell nichts mehr in Panik
versetzen, denn mein Leben ist gelebt. Es war zwar nicht immer schön,
Glück kam darin überhaupt nur so selten wie Sternschnuppen vor,
aber wenigstens verlief es materiell sorgenfrei. Und du weißt jetzt,
warum Fredl Schleißheimer und Lotte Heinrich sterben mussten: aus
demselben Grund, der damals den Goldtransportbegleitern und den GIs den
Tod gebracht hat. Mehr musst du nicht erfahren.«
»Du hast ja kaum was
getrunken«, stellte die Jüngere fest.
Häuslschmied lächelte.
»Und wenn du mir noch so viel Tee mit Vogelbeer einflößt:
Ich kann dir nicht mehr sagen, weil ich einfach nicht mehr weiß.
Hans hat mich diesbezüglich immer kurz gehalten und viele seiner
Geheimnisse mit ins Grab genommen.« Sie gähnte herzhaft.
»Der Schnaps hat mich zwar zunächst munter gemacht, aber nun
beginnt sich
Weitere Kostenlose Bücher