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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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der zweite fast zeitgleich den Captain seitlich in
     den Kopf. Während der US-Offizier sofort zusammensackte, wankte sein
     Untergebener noch zwei Schritte zurück, ehe er die Goldbarren fallen
     ließ und rücklings auf den Waggonboden stürzte.
    Röck hatte die Nullacht
     schon vor Stunden mit Isolierband am Strommasten befestigt, an der
     Innenseite eines der breiten Eisenträger. So umsichtig die beiden GIs
     auch sonst vorgegangen sein mochten: Es war ein entscheidender Fehler
     gewesen, die Umgebung der Rampe nicht zu überprüfen.
    Röck sah auf den ersten
     Blick, dass der Captain tot war, und ging zum Waggon zurück. Der
     Sergeant war ebenfalls tödlich getroffen, Blut quoll ihm aus dem
     Mund. Seine rechte Hand nestelte noch fahrig am Halfter seiner
     Armeepistole. Häuslschmied schob die Hand zur Seite und nahm die
     Pistole an sich. Eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, denn
     der Mann hatte nur noch wenige Minuten zu leben.
    Röck sah den bekümmerten
     Gesichtsausdruck seines Komplizen und rümpfte die Nase. »Was
     denkst du denn, was die mit uns gemacht hätten, sowie das Gold
     gebunkert gewesen wäre?«
    »Schon gut,
     wahrscheinlich hab ich in letzter Zeit nur zu viele Tote gesehen«,
     beeilte sich Häuslschmied zu erklären.
    »Was ist los?«,
     brüllte der Lokführer vorn. »Was waren das für Schüsse?«
    »Only warning shots!
     Keep cool! Einer der Zugbegleiter hatte sich befreit!«, rief Röck
     mit täuschend echtem amerikanischen Akzent zurück. »Keine
     Sorge, alles läuft wieder nach Plan. Du kannst gleich fahren.«
    »Spinnst du?«,
     zischte Häuslschmied. »Da drinnen liegen noch fast zwanzig
     Barren. Die müssen wir doch –«
    »Die bleiben, wo sie
     sind.« Die Stimme Röcks wurde nicht um ein Dezibel lauter.
     »Oder willst du einen Achsenbruch riskieren? Der Ford hält
     sicher was aus, aber achtzig Barren sind trotz Verstärkung der Ladefläche
     der absolute Grenzwert. Und vergiss die fünf Leichen nicht. Die müssen
     auch weg. Mehr als eineinhalb Tonnen sind dem alten Karren nicht
     zuzumuten. Schon damit müssen wir sehr vorsichtig fahren, und du weißt
     ja, wohin wir wollen.«
    Häuslschmied fror, dabei
     war die Nacht vom sechzehnten auf den siebzehnten Mai eher mild. Röck
     dachte und handelte wie eine Maschine, die auch der Glanz des Goldes nicht
     beeindrucken konnte, und er traf punktgenau. Unmittelbar nach der
     Plackerei mit den Goldbarren hatte er dem Sergeant aus einer Entfernung
     von acht Metern in den Hals geschossen – bei miserabelsten Lichtverhältnissen.
    Auch der GI hatte inzwischen
     den letzten Atemzug getan. Fünf Minuten später lagen alle
     Leichen auf der Ladefläche des Ford, und die restlichen Goldbarren
     waren wieder von unverdächtigen Heraklith-Platten bedeckt. Röck
     steckte zwei Finger in den Mund und pfiff schrill. Sekunden später
     setzte sich der Zug in Bewegung.

 
    31
    »UND WEITER? Was
     geschah dann?«, fragte Tina Hohenauer mit hochrotem Kopf, nachdem
     ihre Großtante den Bericht offensichtlich nicht mehr fortsetzen
     wollte. »Wohin haben Onkel Hans und Siegfried Röck das Gold
     gebracht? Von diesem Siegfried Röck hab ich übrigens noch nie
     was gehört, auch wenn Röck ein recht häufiger Name im Tal
     ist. Was ist aus ihm geworden?«
    »Ich kann dir weder die
     eine noch die andere Frage beantworten«, dämpfte Amanda Häuslschmied
     die Wissbegier ihrer Großnichte, »und das ist auch besser so,
     Tini. Falls irgendetwas schiefläuft, bin ich die einzige
     Anlaufstation für diverse Begehrlichkeiten, diese Bürde will ich
     nicht mit dir teilen. Mich aber kann so schnell nichts mehr in Panik
     versetzen, denn mein Leben ist gelebt. Es war zwar nicht immer schön,
     Glück kam darin überhaupt nur so selten wie Sternschnuppen vor,
     aber wenigstens verlief es materiell sorgenfrei. Und du weißt jetzt,
     warum Fredl Schleißheimer und Lotte Heinrich sterben mussten: aus
     demselben Grund, der damals den Goldtransportbegleitern und den GIs den
     Tod gebracht hat. Mehr musst du nicht erfahren.«
    »Du hast ja kaum was
     getrunken«, stellte die Jüngere fest.
    Häuslschmied lächelte.
     »Und wenn du mir noch so viel Tee mit Vogelbeer einflößt:
     Ich kann dir nicht mehr sagen, weil ich einfach nicht mehr weiß.
     Hans hat mich diesbezüglich immer kurz gehalten und viele seiner
     Geheimnisse mit ins Grab genommen.« Sie gähnte herzhaft.
     »Der Schnaps hat mich zwar zunächst munter gemacht, aber nun
     beginnt sich

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