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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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neben dem ausgetauschten Lokführer auch
     jener Transportbegleiter, dessen Leiche jetzt neben der Waggontür
     lag, ein Komplize gewesen. Er musste seine zwei ahnungslosen Kollegen auf
     der Strecke Schwarzach-Böckstein in einem der vier Tunnel erschossen
     haben und war nun seinerseits vom Captain getötet worden, als er in Böckstein
     die Schiebetür von innen geöffnet hatte.
    Häuslschmied gab sich
     keinen Illusionen hin. Der Captain ließ nur Leute leben, die er noch
     brauchte, etwa den Sergeanten und den Lokführer. Der Zug musste
     schließlich noch nach Kärnten weiterfahren – in den
     englischen Sektor, um Verwirrung zu stiften und die Spuren zu verwischen.
     Er, Häuslschmied, und sein Kamerad Röck waren im Moment noch
     relativ ungefährdet, brenzlig würde es für sie dann werden,
     wenn das Gold sicher im Versteck lag und sie, die Krauts, nicht mehr benötigt
     wurden.
    »Wir bringen dem Lokführer
     drei Barren, damit uns der Bursche nicht nervös wird«, ordnete
     der Captain jetzt an, als hätte er die Gedanken Häuslschmieds
     gelesen.
    Der Sergeant zog die beiden
     Leichen zur Stirnseite des Waggons und begann dann die vordersten
     Heraklith-Platten abzutragen und zur Seite zu stellen. Sein unmissverständlicher
     Wink mit dem Kinn machte Häuslschmied und Röck Beine.
     Schleunigst beteiligten sie sich an der Arbeit.
    Nachdem die ersten beiden
     Lagen Platten entfernt worden waren, kam eine Persenning zum Vorschein.
     Erst nach einem Nicken des Captains schlug der Sergeant sie zurück.
    Den Männern wurden die
     Knie weich. Ein Stapel Goldbarren, das Stück zu zwölf Kilogramm
     und fünfzig Gramm, leuchtete ihnen entgegen. Hundert verwaiste
     Goldbarren in einem einsamen Dorfbahnhof in den Hohen Tauern! So etwas war
     auch nur nach dem Chaos des Weltkriegs möglich.
    »Hurry up! Träumen
     könnt ihr später noch.« Die Stimme des Captains holte sie
     in die Wirklichkeit zurück. Der Sergeant und die beiden ehemaligen
     SS-Angehörigen griffen sich jeweils einen Barren – und waren
     beeindruckt von seinem Gewicht. Bis zur Lokomotive des Lastenzugs war es
     ziemlich weit, denn der Goldwaggon war der drittletzte des Zuges.
    Als der Lokführer auf
     dem Führerstand die drei Barren vor sich sah, wichen Angst und
     Misstrauen in seinem Ausdruck augenblicklich der Gier.
    »Wie viel sind die
     wert?«, wollte er wissen. Sein weicher Dialekt verriet seine Kärntner
     Herkunft.
    »Sehr viel, wenn du
     vorsichtig bist und ein paar Jahre Geduld hast«, sagte der Captain,
     der ihn richtig eingeschätzt hatte.
    Der Eisenbahner wagte nicht
     mehr, nach dem Gesamtumfang der Beute zu fragen, er hatte den Schuss zuvor
     richtig gedeutet.       
    »Wie lange werdet ihr
     zum Umladen brauchen?«, wollte er nun beiläufig wissen.
    »Etwa eine
     Viertelstunde. So viel ist es nicht. Wir werden uns beeilen. Wenn ich
     pfeife, kannst du fahren.«
    Der Lokführer hatte die
     Aufgabe, den Zug vor dem Stellwerk des Bahnhofs Spittal in Oberkärnten
     abzustellen und dann ungesehen zu verduften. Sie trennten sich grußlos.
     Man hatte nicht vor, sich in diesem Leben noch einmal wiederzusehen.
    Die Plackerei des Umladens
     war schweißtreibender, als die zwei Gasteiner befürchtet
     hatten. Jeder von ihnen, auch der Sergeant, hatte pro Weg zwei Barren zu
     schleppen, während der Captain die Aktion vom Bahnsteig aus überwachte.
    Die ersten vierzig hatten sie
     relativ rasch auf die Ladefläche des Ford hinübergeschafft, aber
     dann wurde das Gold – so Glück verheißend es auch sein
     mochte – schwerer und schwerer.
    »Ich … ich muss
     mal austreten«, japste Röck schließlich.
    »Sag doch gleich, dass
     du dich ausruhen willst, du Schwächling«, knurrte der Captain
     ungehalten, deutete aber mit der MP zustimmend zur Seite. »Aber mach
     schnell, sonst wird der Lokführer doch noch nervös.«
    Röck sprang von der
     Ladefläche des Ford und ging zu dem Strommasten hinüber, der
     sich unmittelbar neben der Bahnstation befand. Das Geräusch des
     Urinierens war bis in den Waggon zu hören.
    »He, Sergeant!«,
     rief Häuslschmied. »Kann ich auch einen Augenblick
     verschnaufen?«
    Der Sergeant war gerade im
     Begriff gewesen, mit zwei Barren vom Waggon auf den Lastwagen hinüberzusteigen.
     Er hielt inne und blickte über die Schulter zurück in den
     Waggon. Der Captain wäre kein Mensch gewesen, hätte er nicht in
     dieselbe Richtung geblickt.
    Der erste Schuss traf den
     Sergeant in den Hals,

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