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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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sie im Autobus nach Hause zu bringen.
    Ich konnte mich nicht länger damit aufhalten, der Armen mein Mitgefühl bezüglich ihres Hinauswurfs zu bezeigen, da ich Evan Crippen bemerkte, der sich auf mich zu bewegte.
    Jedermann ist natürlich Evan Crippen ein Begriff. Bisweilen kommt ihm jemand unter, der ihn nicht kennt, dann nimmt sein Gesicht einen aus Schrecken und Mitleid gemischten Ausdruck an — etwa wie bei einem weitherzigen Missionar, der einen Eingeborenen beim Auffressen seiner Großmutter an trifft. Evan Crippen war unser Spitzen-Fernseh-Interviewer, ein Produkt unseres Zeitalters im selben Sinn wie tiefgekühlter Fisch und Wasserstoffbomben. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß seine berühmten »Aug-in-Aug«-Programmfolgen stets mit knieweichgewordenen Admiralen, in Tränen aufgelösten Bühnenstars, erbleichten Richtern und auf Bahren hingestreckten Kabinettsministern endeten.
    »Hallo, da sind Sie ja, Doktor«, näselte Evan. Ein Lächeln huschte über seine scharfen Züge mit dem wohlbekannten Ausdruck eines gewissenhaften Sanitätsinspektors auf Ferienreise in Südeuropa. »Haben Sie in der vergangenen Woche mein Programm gesehen?«
    »Ich war leider in New York.«
    »Oh, verdammtes Pech. Sie kennen doch, glaube ich, diesen Burschen Sir Lancelot Spratt?« fragte er, sogleich zum Geschäftlichen übergehend.
    Ich nickte.
    »Habe den Zeitungen entnommen, daß er jetzt mit großem Tamtam gegen die jugendlichen Kriminellen loszieht. Wenn ich ihn und Frau Direktor Hilda für die Sendung >Heute abend< zusammenspannen könnte, wär das kein schlechtes Interview, finden Sie nicht?«
    Ich, für mein Teil, meinte zwar, die beiden würden sich wie ein Paar Mastodons ausnehmen, die sich nicht um die Verkehrszeichen scheren, nickte jedoch abermals.
    »Frau Direktor Hilda wäre scharf drauf, wenn Sie den Alten herumkriegten.«
    »Wenn Sie wollen, werde ich’s versuchen«, versprach ich matt.
    »Danke, Doktor. Muß leider fortstürzen und einigen Schmutz an einem Feldmarschall aufstöbern.«
    Auch ich stürzte fort. Ich hatte keine große Lust, Sir Lancelot den bohrenden Fragen eines Evan Crippen auszusetzen, wenn ihm dieser wie ein gewissenhafter Dentist auf den Zahn fühlte. Aber, so überlegte ich, Frau Direktor Hilda war meine künftige Schwiegermutter, und Bessere als Sir Lancelot lüfteten allabendlich ihre Ansichten und entblößten ihr Seelenleben vor der Öffentlichkeit. Ich konnte in diese Materie jetzt nicht tiefer eindringen, denn ich hatte die Türe mit der Aufschrift »Mr. Basil Beauchamp« erreicht.
    Der Schrei eines Mädchens drang durch die hölzerne Scheidewand zu mir, gefolgt von den keuchenden Worten: »Töte mich morgen! Laß mich heut noch leben!«
    Ich stand ratlos da, entschloß mich dann aber doch, zu klopfen.
    »Herein!« rief Basil.
    Der Schauspieler, angetan mit einem rosa Seidenschlafrock, lümmelte, eine Zigarre rauchend, auf einer Couch, umgeben von Vasen voll Rosensträußen. In einem Fauteuil neben den Schminktöpfen und Telegrammen hingerissener Frauen saß Lucy Squiffington.
    »Oh, Gaston, Darling!« rief Lucy. »Welch baldiges Wiedersehen!«
    »Ah, liebes Jungchen«, sagte Basil und beäugte mich wie eine Kritik in den Sonntagsblättern.
    »Störe ich?«
    »Keineswegs«, lächelte Lucy. »Basil probte mit mir die Erwürgungsszene in >Othello<. Ist es nicht herrlich, daß er mich im Schauspielen unterrichtet? Wir hatten schon >Antonius und Kleopatra< in unserem Salon zur Hälfte fertig studiert, bevor ich nach New York flog.«
    »Lucy hat direkt eine Leidenschaft für das Theater gefaßt, seit wir uns beim Waisenball der Schauspieler kennenlernten.«
    »Und sobald Daddy zurück ist, kann ich ihn bestimmt überreden, Basils wundervolle Neugestaltung der >Heiligen Johanna< zu finanzieren.«
    »Als Musical«, ergänzte Basil.
    Soviel ich mich erinnerte, hatte Lucy ihren Vater nicht einmal dazu bewegen können, eine zweite Portion Eis zu finanzieren, doch ich schwieg.
    »Ich bin wahnsinnig aufgeregt, Gaston. Basil sagt, wenn ich fleißig übe, könnte ich sogar die Hauptrolle kriegen.«
    »Ich brauche ein absolut süßes und unschuldiges Geschöpf dazu«, erwähnte Basil. »Und bemerkenswerterweise sind das nur sehr wenige unserer führenden Schauspielerinnen. Es wäre meiner Meinung nach eine glänzende Gelegenheit für eine völlig Unbekannte.«
    »Basil, ich —«
    »Ich will dir meine Ideen erklären, liebes Jungchen.« Wie alle Schauspieler ließ Basil, sobald er einmal ins

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