Doktor Faustus
Nicht-Künstler ist es eine recht intriguierende Frage, wie ernst es dem Künstler mit dem ist, was ihm das Angelegentlich-Ernsteste sein sollte und zu sein scheint; wie ernst er sich selbst dabei nimmt und wieviel Verspieltheit, Mumschanz, höherer Jux dabei im Spiele ist. Wäre die Frage unberechtigt, wie hätte dann jener Großmeister des Musiktheaters sich beim feierlichsten Weihe-Werk einen solchen Spottnamen geben können? Bei Adrians Unterschrift empfand ich sehr Ähnliches; ja mein Fragen, Sorgen und Bangen ging darüber hinaus und galt in der Stille meines Herzens geradezu der Legitimität seines Tuns, seinem zeitlichen Anrecht auf die Sphäre, in die er sich versenkte und deren Recreation er mit den äußersten, entwickeltsten Mitteln betrieb; kurz, es bestand in dem liebenden und angstvollen Verdacht eines Ästhetizismus, der meines Freundes Wort: das ablösende Gegenteil der bürgerlichen Kultur sei
nicht
Barbarei, sondern die Gemeinschaft, dem quälendsten Zweifel überlieferte.
Hier kann niemand mir folgen, der nicht die Nachbarschaft von Ästhetizismus und Barbarei, den Ästhetizismus als Wegbereiter der Barbarei in eigener Seele, wie ich, erlebt hat, – der ich diese Not freilich nicht aus mir selbst, sondern mit Hilfe der Freundschaft für einen teueren und hochgefährdeten Künstlergeist erlebte. Die Erneuerung kultischer Musik aus profaner Zeit hat ihre Gefahren. Jene, nicht wahr?, diente kirchlichen Zwecken, hat aber vordem auch weniger zivilisierten, medizinmännischen, zauberischen gedient: zu Zeiten nämlich, als der Verwalter überirdischen Dienstes, der Priester, noch Medizinmann und Magier war. Ist zu leugnen, daß dies ein vor-kultureller, ein barbarischer Zustand des Kultus war – und ist es verständlich oder nicht, daß die spät-kulturelle, aus der Atomi {542} sierung Gemeinschaft ambitionierende Erneuerung des Kultischen, zu Mitteln greift, die nicht nur dem Stadium seiner kirchlichen Sittigung, sondern auch seinem Primitiv-Stadium angehören? Die ungeheueren Schwierigkeiten, welche jede Einstudierung und Aufführung von Leverkühns Apocalipsis bietet, hängen ja eben hiermit unmittelbar zusammen. Man hat da Ensembles, die als Sprechchöre beginnen und erst stufenweise, auf dem Wege sonderbarster Übergänge, zur reichsten Vokal-Musik werden; Chöre also, die durch alle Schattierungen des abgestuften Flüsterns, geteilten Redens, Halbsingens bis zum polyphonsten Gesang gehen, – begleitet von Klängen, die als bloßes Geräusch, als magisch-fanatisch-negerhaftes Trommeln und Gong-Dröhnen beginnen und bis zu höchster Musik reichen. Wie oft ist dieses bedrohliche Werk in seinem Drange, das Verborgenste musikalisch zu enthüllen, das Tier im Menschen, wie seine sublimsten Regungen, vom Vorwurf des blutigen Barbarismus sowohl wie der blutlosen Intellektualität getroffen worden! Ich sage: getroffen; denn seine Idee, gewissermaßen die Lebensgeschichte der Musik, von ihren vor-musikalischen, magisch-rhythmischen Elementar-Zuständen bis zu ihrer kompliziertesten Vollendung in sich aufzunehmen, stellt es vielleicht nicht nur partiell, sondern als Ganzes jenem Vorwurf bloß.
Ich will ein Beispiel anführen, das meine humane Ängstlichkeit immer besonders affiziert hat und immer ein Gegenstand des Hohnes und Hasses einer feindseligen Kritik war. Dazu muß ich ausholen: Wir wissen alle, daß es das erste Anliegen, die früheste Errungenschaft der Tonkunst war, den Klang zu denaturieren, den Gesang, der ursprünglich-urmenschlich ein Heulen über mehrere Tonstufen hinweg gewesen sein muß, auf einer einzigen festzuhalten und dem Chaos das Tonsystem abzugewinnen. Gewiß und selbstverständlich: eine normierende Maß-Ordnung der Klänge war Voraussetzung und erste {543} Selbstbekundung dessen, was wir unter Musik verstehen. In ihr stehengeblieben, sozusagen als ein naturalistischer Atavismus, als ein barbarisches Rudiment aus vormusikalischen Tagen ist der Gleitklang, das Glissando, – ein aus tief kulturellen Gründen mit größter Vorsicht zu behandelndes Mittel, dem ich immer eine anti-kulturelle, ja anti-humane Dämonie abzuhören geneigt war. Was ich im Sinn habe, ist die Leverkühn'sche – man kann natürlich nicht sagen: Bevorzugung, aber doch ausnehmend häufige Verwendung des Gleitklanges, wenigstens in diesem Werk, der »Apokalypse‹, deren Schreckensbilder allerdings den verführerischsten und zugleich legitimsten Anlaß zum Gebrauch des wilden Mittels bilden. Wie
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