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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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eingeschlummerte Tantchen. Mit ihrer Nichte unterhielt Schildknapp sich zuweilen gedämpft; ich versicherte mich im Gespräch mit Schwerdtfeger, daß er nichts übelgenommen habe, und Adrian befragte Helenen nach alltäglichen Dingen. Gegen alle Erwartung und zu meiner stillen, fast heiteren Rührung verließ er uns nicht in Waldshut, sondern wollte es sich nicht nehmen lassen, unsere Gäste, die Pariser Damen, nach München zurück und heimzubegleiten. Am Hauptbahnhof verabschiedeten wir anderen alle uns von ihnen und ihm und gingen unserer Wege, während er Tante und Nichte in einer Taxidroschke vor ihre Schwabinger Pension brachte, – ein Akt der Ritterlichkeit, der in meinen Gedanken den Sinn annahm, daß er die letzte Neige des Tages nur noch in Gesellschaft der schwarzen Augen allein verlebte.
    Erst der gewohnte 11 Uhr-Zug trug ihn in seine bescheidene Einsamkeit zurück, wo er denn von weitem schon mit dem über-hohen Pfeifchen den wachsam schweifenden Kaschperl-Suso von seinem Kommen verständigte.

{629} XLI
    Meine teilnehmenden Leser und Freunde, – ich fahre fort. Über Deutschland schlägt das Verderben zusammen, im Schutt unserer Städte hausen, von Leichen fett, die Ratten, der Donner der russischen Kanonen rollt gegen Berlin, der Rhein-Übergang der Angelsachsen war ein Kinderspiel, unser eigener Wille, der sich mit dem des Feindes vereinigt, scheint ihn dazu gemacht zu haben, das Ende kommt, es kommt das Ende, es gehet schon auf und bricht daher über dich, du Einwohner des Landes, – aber ich fahre fort. Was nur zwei Tage nach dem geschilderten, mir denkwürdigen Ausflug zwischen Adrian und Rudolf Schwerdtfeger sich abspielte, und wie es sich abspielte, – ich
weiß
es, und möge man zehnmal den Einwand erheben, ich könne es nicht wissen, da ich nicht »dabei gewesen« sei. Nein, ich war nicht dabei. Aber heute ist seelische Tatsache, daß ich dabei gewesen bin, denn wer eine Geschichte erlebt und wieder durchlebt hat, wie ich diese hier, den macht seine furchtbare Intimität mit ihr zum Augen- und Ohrenzeugen auch ihrer verborgenen Phasen.
    Adrian bat seinen ungarischen Reisegefährten telephonisch zu sich nach Pfeiffering. Er möge so bald wie möglich kommen, bat er, die Angelegenheit, die er mit ihm zu besprechen habe, sei dringlich. Rudolf kam immer gleich. Der Anruf war 10 Uhr morgens erfolgt – während Adrians Arbeitszeit, ein besonderer Vorfall an und für sich – und schon nachmittags vier Uhr war der Geiger zur Stelle. Noch dazu hatte er abends in einem Abonnementskonzert des Zapfenstößer-Orchesters zu spielen, woran Adrian nicht einmal gedacht hatte.
    »Du hast befohlen«, fragte Rudolf, »was ist los?«
    »Oh, gleich«, antwortete Adrian. »Du bist da, das ist vorerst die Hauptsache. Ich freue mich, dich zu sehen, sogar mehr als gewöhnlich. Behalte das im Gedächtnis!«
    {630} »Es wird allem, was du mir zu sagen hast«, erwiderte Rudolf mit überraschend hübscher Wendung, »einen goldenen Hintergrund geben.«
    Adrian schlug einen Spaziergang vor, es rede sich besser im Gehen. Schwerdtfeger stimmte mit Vergnügen zu und bedauerte nur, nicht viel Zeit zu haben, da er zum 6 Uhr-Zug wieder am Bahnhof sein müsse, um seinen Dienst nicht zu versäumen. Adrian schlug sich vor die Stirn und bat um Entschuldigung für seine Gedankenlosigkeit. Vielleicht werde jener sie begreiflicher finden, nachdem er ihn angehört.
    Tauwetter war eingefallen. Der Schnee, wo er zur Seite geschaufelt war, sickerte und sinterte, und die Wege begannen, breiig zu werden. Die Freunde trugen Überschuhe. Rudolf hatte seine kurze Pelzjacke gar nicht erst ausgezogen, Adrian seinen gegürteten Kamelhaarmantel angelegt. Sie gingen gegen den Klammerweiher und an seinem Ufer hin. Adrian erkundigte sich nach dem Programm von heute. Wieder einmal Brahmsens Erste als pièce de résistance? Wieder einmal die »Zehnte Symphonie«? »Nun, freue dich, im Adagio hast du schmeichelhafte Dinge zu sagen.« Dann erzählte er, daß er als Junge am Klavier, lange bevor er von Brahms etwas gewußt, ein mit dem hoch-romantischen Hornthema im letzten Satz fast identisches Motiv sich ausgedacht habe, zwar ohne den rhythmischen Trick mit dem punktierten Achtel nach dem Sechzehntel, aber melodisch ganz in demselben Geist.
    »Interessant«, sagte Schwerdtfeger.
    Nun, und der Ausflug vom Samstag? Ob jener sich unterhalten habe. Ob er dasselbe von den anderen Teilnehmern glaube.
    »Hätte nicht netter verlaufen können«,

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